Kapitel 5

Entschuldigung war ein Wort, das ihren Ohren fremd war.

Natürlich hörte Cecilia es, aber nur in der Welt, in der sie als Beta bekannt war. Als Omega war Entschuldigung schwer zu verstehen – wie jemanden in der Mitte eines Satzes eine andere Sprache sprechen zu hören. Sie kannte das Wort, aber es setzte sich in ihrem Kopf wie ein Tagtraum fest.

Sie konnte nicht anders, als Grayson anzustarren – das, was er gesagt hatte, war so verwirrend, so untypisch für ihn. Entschuldigung. Ein Alpha hatte sich bei ihr entschuldigt?

Sie hatte so lange ihre wahre Identität vor der Welt verborgen. Niemand durfte jemals etwas über ihre Familie, ihre Erziehung, ihr Zuhause erfahren. Sie konnte nicht einmal Mia zu sich einladen. Was würde sie tun, wenn sie die schmutzigen Slums sehen würde, aus denen Cecilia gekrochen war? Sie konnte auch kein Liebesleben führen wie Betas – denn irgendwie würde dieses schreckliche biologische Verlangen in ihr sich offenbaren. Sie würde niemals ein normales, erfülltes Leben führen können. Ihre Welt war von ihren Mängeln als Omega geprägt.

Jeden Moment, so lange sie sich erinnern konnte, hatte sie es verborgen.

Jetzt war es für alle sichtbar. Sie war eine Bauerin unter Königen und dennoch, aus irgendeinem Grund, sah dieser eine ihr in die Augen und sagte ihr erneut: „Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht so behandeln sollen.“

Cecilia fand keine Worte. Er sah aufrichtig aus – ein wenig verlegen sogar. Sie starrte noch einen Moment länger verwirrt, dann schüttelte sie den Kopf. „Danke, aber keine Notwendigkeit für Entschuldigungen. In meiner Position bin ich für die nächsten drei Monate das Eigentum dieses Anwesens und seiner Bewohner.“ Sie spürte, wie ihr die Kehle trocken wurde, als sie leise hinzufügte: „Eine Sklavin.“

Vielleicht hörte er es nicht, denn Grayson reagierte nicht darauf. Er schenkte ihr einfach ein höfliches Lächeln und sagte: „Gute Nacht.“

Sie beobachtete, wie er in den Aufzug trat, genau in dem Moment, als ein anderer Mann herauskam – der Alpha, der Grayson aus dem Auto geholfen hatte. Er fing Grayson auf, als dieser in den Aufzug wankte, legte seine Hand auf seinen Bizeps und half ihm, das Gleichgewicht zu halten. „Du hast gesagt, du würdest es heute Abend ruhig angehen.“

„Ermahne mich morgen,“ sagte Grayson und sah beschämt aus. „Ich bin müde.“

„Ich mache das nicht nochmal,“ sagte der Mann. „Ich werde dich nicht mehr babysitten, verstanden?“ Er sprach leise, sodass Cecilia es nicht hören konnte, aber jedes Wort traf ihre Ohren mit einem Ton von Arroganz und Frustration. „Ich bin es leid, dieses Gespräch zu führen – es leid, dir hinterherzulaufen, weil –“

„Weil du dir Sorgen machst,“ schlussfolgerte Grayson. Er war noch betrunken genug, dass seine Worte lallten, und er schien sich unbewusst am Alpha festzuhalten, um das Gleichgewicht zu halten. Cecilia verstand ziemlich schnell, dass sie sich sehr nah sein mussten. Die beschützende Natur des größeren Alphas schien einen Schatten der Missbilligung über Grayson zu werfen.

Trotzdem weigerte er sich, eine Antwort zu geben. Der Alpha knirschte mit den Zähnen, bis die Muskeln sich anspannten, und stieß ein tiefes Schnauben aus wie ein wütender Stier, um sich von seiner Wut zu befreien. „Ja, wie auch immer.“

Grayson senkte den Kopf, eine kranke Welle überkam sein Gesicht. „Es tut mir leid, Ash.“

Es war einen langen Moment still, nur die beiden standen schweigend im Aufzug. Der größere Alpha seufzte tief und legte eine Hand auf Ashers Kopf, gerade lange genug, um sein Haar zu zerzausen. „Ruh dich aus“, sagte er. Dann drückte er einen Knopf im Aufzug und trat hinaus, ließ die Türen hinter sich schließen.

Cecilia schenkte dem Fremden keine Beachtung, als das sanfte Zischen des Mechanismus Grayson wegführte. Sie spürte die Augen des Alphas auf sich, aber sie weigerte sich, ihnen zu begegnen. Stattdessen starrte sie auf den Platz, wo Grayson gestanden hatte, und fragte sich, wie zwei so unterschiedliche Menschen so nah beieinander sein konnten.

„Grayson will dich nicht ins Bett kriegen“, sagte der Alpha, seine Nase rümpfend, als hätte er etwas Schlechtes gerochen. „Warte nicht auf.“

Cecilia zuckte bei dem Ekel in seiner Stimme zusammen, aber sie würdigte ihn nicht mehr als einen flüchtigen Blick. Er war ähnlich alt wie Grayson, aber im Vergleich zu den anderen lässig gekleidet. Sein rotes Haar war verschlagen zurückgekämmt, seine Hände in den Taschen seiner Jeans. Sie hatte diesen Alpha gerade erst kennengelernt und schon hatte er beschlossen, dass sie eine Schlampe war.

Gut. Wenn er sie wie eine Schlampe behandeln wollte, würde sie sich auch so verhalten.

Cecilia zwang ihre Schultern zu entspannen und sagte: „Ist das so? Das ist schade. Ich hätte gerne die Nacht mit Mr. Grayson verbracht.“

In seinen Augen flackerte etwas Wütendes auf, als er ihren Sarkasmus zu erkennen schien. „Für wen hältst du dich?“ sagte er und trat näher. Cecilia fühlte sich von seiner Präsenz eingeschüchtert, aber sie wagte es, es nicht zu zeigen.

„Ich bin nur die Haushälterin“, antwortete sie, standhaft. „Kann ich etwas für Sie tun?“

Er schnaubte und hob das Kinn zu ihr. „Dumme Omega. Du bist hier nicht willkommen.“

Cecilia spürte, wie ihre Wangen erröteten und betete, dass ihre Wut nicht sichtbar war. Dieser Alpha würde sie nicht unterkriegen – nicht nach allem, was sie durchgemacht hatte. Er war nicht anders als die anderen. Sie würde das durchstehen.

„Vielleicht sollte ich dann entschuldigt werden?“ sagte sie. „Jetzt, wo Mr. Grayson sicher drinnen ist, brauchen Sie mich sicherlich nicht mehr.“

Was auch immer an Wut in diesem Alpha gebrannt hatte, schien sich zu verdoppeln. Sein Kiefer verspannte sich bei ihrem Anblick und er öffnete den Mund, um zu sprechen, aber bevor er konnte—

Die Aufzugtüren öffneten sich erneut und ein vertrauter Duft jagte einen kalten Schauer durch Cecilias Herz. Tabak und Moschus.

Der Alpha, der aus den Schatten trat, ähnelte auffallend dem, mit dem sie nur eine Nacht zuvor geschlafen hatte.

„Wo ist sie? Wo ist die Omega?“ knurrte er, seine reichen, bernsteinfarbenen Augen durchkämmten den Raum. Sein scharfer Kiefer war angespannt, als er Cecilia entdeckte und mit einer hungrigen Ausstrahlung auf sie zuging.

„Endlich“, sagte er leise. „Ich habe dich gefunden.“

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