Kapitel 1

Evelyn

„Klirr!“

Porzellan explodierte auf dem Caféboden, eine weiße Gischt aus scharfkantigen Scherben.

Die Stille rastete ein – Gabeln hielten auf halbem Weg zum Mund inne, der Atem stockte, als hätte der Raum selbst Angst, sich zu bewegen.

Meine Finger schwebten noch immer nutzlos und zitternd in der Luft.

Perfekt. Schon wieder ein Chaos. Eine weitere Erinnerung daran, dass ich nirgendwo hinpasste, nicht einmal unter Menschen, die so taten, als wäre das Leben einfach.

„Gray.“ Die Stimme des Managers schnitt wie eine Klinge durch die Luft. „Was. Ist. Falsch. Mit. Dir?“

Ich schluckte die Antwort herunter, die ich nicht hatte. „Ich kümmere mich darum.“

Kalte Scherben bohrten sich in meine Handflächen, als ich niederkniete, und Blut perlte in sauberen roten Satzzeichen hervor. Der Schmerz erdete mich. Besser dieses Stechen als das andere – der hohle Schmerz in meiner Brust, wo eigentlich ein Wolf hätte leben sollen.

Tu so als ob. Atme. Brich nicht hier zusammen.

„Mach das sauber“, bellte er. „Und sorg dafür, dass ich nicht zurückkommen muss.“

Ich blickte nicht auf. Gönnte ihnen nicht die Genugtuung, die Scham auf meinem Gesicht aufblühen zu sehen.

Drei Jahre im Exil, und selbst hier war ich immer noch ein Geist in meiner eigenen Haut.

Ich warf die Scherben weg, riss meine Schürze ab und ging hinaus, bevor der Manager mir noch ein Wort hinterherwerfen konnte.

Draußen verschmierten die Neonlichter die regennasse Straße wie Blutergüsse. Der Wind biss sich durch meine Jacke. Ich hatte Schlimmeres überlebt. Das tat ich immer. Sogar ohne Wolf.

Ich ging gerade auf mein Motorrad zu, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, als der Betrunkene von der Ecke vortrat und mir den Weg versperrte.

„Na, du wildes Mädchen“, lallte er und griff nach meiner Taille. „Schicht zu Ende? Lass mich dir einen Drink ausgeben.“

Ich trat zurück, mein Herz raste. „Kein Interesse.“

Seine Finger schlossen sich um mein Handgelenk. „Komm schon, Süße. Ich habe dich die ganze Nacht beobachtet. Irgendwas an dir ist … anders. Gefährlich.“ Er beugte sich näher, sein Atem heiß auf meinem Gesicht. „Ich mag gefährlich.“

„Lass. Los.“ Meine Stimme sank um eine Oktave, selbst mir fremd.

„Bring mich dazu“, höhnte er.

Also tat ich es. Meine Faust schlug gegen seine Brust und ließ ihn gegen einen Tisch taumeln. Glas zersplitterte, als er zu Boden krachte.

„Sie hat mich angegriffen!“, schrie er und zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Diese verrückte Schlampe hat mich angegriffen!“

Die Leute wichen zurück. Handys wurden gezückt, ihre Bildschirme leuchteten auf, während sie filmten. Das Gesicht meines Managers erschien in der Tür, blass vor Wut.

„Polizei!“, rief jemand.

Minuten später wurde ich auf den Rücksitz eines Streifenwagens gestoßen, während der Betrunkene grinste, als hätte er bereits gewonnen.

Der Verhörraum roch nach Bleichmittel und altem Kaffee. Ich saß Officer Davis gegenüber, meine Handgelenke von den Handschellen wundgescheuert.

„Sie sind einundzwanzig?“, fragte er zum dritten Mal.

„Ja.“

„Kein Vormund?“

„Nein.“

„Keine Familie?“

„Nein.“

Ich hatte diese Lüge so lange erzählt, dass sie besser passte als die Wahrheit.

Die Tür öffnete sich. Das Klacken von Absätzen – scharf, teuer, endgültig.

Victoria Gray. Meine Mutter.

Sie unterschrieb meine Entlassungspapiere, ohne mich anzusehen. Erst als wir nach draußen traten, würdigte sie mich eines Blickes – und dann klatschte ihre Handfläche gegen meine Wange.

„Drei Jahre“, zischte sie. „Drei Jahre Schweigen, und so zeigst du dich wieder? Wirst aus einer menschlichen Polizeiwache gezerrt wie eine gewöhnliche Kriminelle?“

Ich berührte fassungslos meine Wange. „Es war nicht –“

„Sprich nicht.“ Ihre Augen schnitten wie Klingen durch mich hindurch. „Du wurdest aus gutem Grund verstoßen. Denk bloß nicht, das Exil hätte dich weiser gemacht. Du bist immer noch ein Schandfleck. Und Schandflecken … bleiben verborgen.“

Sie sah auf ihre Uhr, schon jetzt gelangweilt. „Dein Großvater will dich zu Hause haben. Zwing mich nicht, noch mehr Zeit damit zu verschwenden, deine Sauereien aufzuräumen.“

Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag. „Deshalb bist du also hier. William hat dich geschickt.“

Ihre Miene veränderte sich nicht. „Schließ dich heute Nacht ein“, sagte sie. „Heute ist Vollmond.“

Ich stieß ein verächtliches Lachen aus. „Du weißt verdammt gut, dass mein Wolf mich vor drei Jahren verlassen hat.“

Ich ging zurück, um meine Ducati zu holen. Der Motor knurrte auf, als ich ihn startete. Ich ließ sie auf dem Bürgersteig stehen und jagte das Motorrad so lange, bis die Lichter der Stadt zu einem einzigen gelb-roten Schmierfleck verschwammen.

Die Straße stadtauswärts war eine offene Kehle. Ich fuhr sie mit voller Geschwindigkeit entlang, der Wind zerrte an meiner Jacke. Der Mond hing schwer und weiß über den Bäumen.

Drei Jahre. Drei Jahre hatte ich diese Leere ertragen. Bei jedem Vollmond hatte ich auf die Rückkehr meines Wolfes gewartet, verzweifelt darauf aus, zu beweisen, dass weiße Wölfe nicht verflucht waren, wie alle glaubten. Aber jedes Mal war nichts geschehen.

Ich drehte den Gasgriff auf und raste die Straße entlang, versuchte, meinem eigenen Kopf zu entkommen – dann sah ich ihn.

Ein Körper am Straßenrand. Blutverschmiert, der Mond zeichnete silberne Streifen auf seine Haut. Zwei Gestalten mit Waffen. Silber blitzte auf. Jäger.

Mein Puls wurde schärfer.

Ich hätte weiterfahren sollen.

Aber sein Atem – flach, hartnäckig – zog mich vorwärts. Ich schaltete den Motor aus und glitt zwischen die Bäume.

„Wer ist da?“ Der Jäger drehte sich um. Sah mich. Lächelte. „Das hättest du nicht sehen sollen.“

Der Silberschuss zischte an meinem Ohr vorbei. Instinkt – nicht der eines Wolfes, nicht mehr, nur noch reiner Überlebenswille – übernahm die Kontrolle. Ich prallte mit ihm zusammen, riss ihm die Waffe aus der Hand und stieß ihn zu Boden.

Dieselbe Scheiße, die sie mir vor drei Jahren auf dieser Insel eingetrichtert hatten. Töten oder getötet werden.

Schwer atmend wandte ich mich dem verletzten Mann zu. „Du bist das hoffentlich wert“, murmelte ich.

Er war groß, breitschultrig, mit einer Präsenz, die die Luft schwerer wirken ließ. Definitiv kein Mensch. Ein Geruch stieg mir in die Nase – Kiefernharz, feuchte Erde, etwas Lebendiges und Scharfes. Ich drückte meine Finger auf seine Seite, um die Wunde zu finden.

Er zuckte zusammen. Seine Hand schoss hoch und umklammerte mein Handgelenk.

Ein weißglühender Impuls durchfuhr meinen Arm, als hätte jemand ein Streichholz an meinem Knochen entzündet.

Nein.

Nein, nein, nein –

Instinktiv riss ich meine Hand zurück, aber es war zu spät – meine Nägel waren gesprungen und gesplittert. Die Haut spannte sich, als innerhalb eines Herzschlags raues Fell hervorbrach. Ich war zu fassungslos, um zu sprechen.

Plötzlich riss der Mann die Augen auf – sturmgrau trotz des Blutes – und fixierte mich.

Seine Stimme war kaum menschlich, kratzig und roh:

„Meins.“

Ich nahm seine Worte kaum wahr, fasziniert von dem weißen Fell, das wie ein Lauffeuer über meine Haut schoss.

Drei Jahre. Ich hatte jeden einzelnen Tag gezählt.

Drei Jahre, in denen ich nur ein halber Mensch war, in denen ich zustimmend nickte, wenn sie sagten, es sei vielleicht das Beste so, vielleicht sei ich auf diese Weise sicherer. Drei Jahre, in denen ich mir auf die Zunge biss, bis sie blutete, anstatt die Ungerechtigkeit herauszuschreien.

Aber jetzt regte sich mein Wolf, streckte sich, als erwachte sie aus einem langen Schlaf. Und mit ihr kam die Erinnerung daran, wer ich einmal war.

Sie hatten sich in vielen Dingen geirrt. Und ich war es leid, ihr Opfer zu sein.

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