Kapitel 11
Evelyn
Am nächsten Morgen wachte ich in dem bequemsten Bett auf, in dem ich je geschlafen hatte. Für einen Moment wusste ich nicht, wo ich war, doch dann strömten die Ereignisse des vergangenen Abends auf mich ein. Devons Inspektion meines Motelzimmers, sein Beharren darauf, dass ich umziehe, diese unglaubliche Wohnung.
Ich streckte mich langsam, spürte die Weichheit der Laken auf meiner Haut und gönnte mir einen kurzen Moment des Friedens, bevor die Last der Realität wieder auf mir lastete. Mein Kopf raste vor Fragen – warum mischte Devon sich so sehr ein? Was bedeutete das für mich? Aber für den Moment atmete ich einfach nur die stille Ruhe des Morgens ein und genoss sie wie ein seltenes Geschenk.
Nachdem ich den ganzen Vormittag gewartet hatte, ohne dass Devon aufgetaucht war, trieb mich mein wachsender Hunger schließlich nach draußen. Der Portier kannte meinen Namen und bot mir seine Hilfe an, aber ich lehnte ab, da mir die Sonderbehandlung unangenehm war.
Der Feinkostladen im Erdgeschoss war genauso luxuriös wie alles andere in dieser Gegend. Ich war gerade dabei, nur das Nötigste auszuwählen, als eine vertraute und unwillkommene Stimme die ruhige Atmosphäre durchbrach.
„Na, sieh mal einer an. Wen haben wir denn da?“
Ich drehte mich um und sah Jessica dastehen, ihren Arm in den von Brian Miller eingehakt. Ihre Augen verengten sich, als sie meine Anwesenheit bemerkte.
„Ist das nicht die Neue aus der Schule?“, fragte Brian und seine Augen leuchteten interessiert auf. „Wohnst du hier in der Gegend?“
Jessicas Griff um seinen Arm wurde sichtlich fester. „Warum tauchst du ständig überall auf? Stalkst du jetzt meinen Freund?“
Ich verdrehte die Augen und setzte meinen Einkauf fort. „Dein Geschmack ist wirklich fragwürdig, wenn du auf solche Typen stehst“, sagte ich und sah Brian vielsagend an.
Ihr Gesicht rötete sich vor Wut. „Glaubst du, du bist was Besonderes, nur weil Lily Pike hinter dir steht?“
Brian grinste und kam absichtlich näher an mich heran. „Hör nicht auf sie. Wie wär’s, wenn wir mal was trinken gehen? In welcher Wohnung wohnst du?“
Jessica stellte sich mir in den Weg. „Du gehst nirgendwohin, bevor ich nicht mit dir fertig bin.“
Ich spürte, wie meine Geduld langsam zur Neige ging. „Geh aus dem Weg“, sagte ich leise, doch meine Stimme trug einen Hauch von Warnung in sich.
Stattdessen griff sie plötzlich nach meinem Arm. „Glaubst du, du bist zu gut für uns? Eingebildete Schlampe!“
In diesem Moment bemerkte ich das silberne Armband an ihrem Handgelenk. Instinktiv riss ich mich los, aber nicht bevor das Metall meine Haut streifte.
Die erste Berührung fühlte sich wie ein leichtes Brennen an und ich zischte vor Schmerz auf. Jessicas Augen weiteten sich überrascht über meine Reaktion, doch ihr Ausdruck wurde schnell boshaft.
Ich schob mich an ihr vorbei. „Bleib mir vom Leib, du Psycho!“
Als ich den Bürgersteig erreichte, begann die Stelle, an der das Silber mich berührt hatte, zu pochen. Ich blickte hinunter und sah einen kleinen roten Fleck, der sich schnell verdunkelte. Dann, zu meinem Entsetzen, begannen sich dünne schwarze Linien von der Kontaktstelle auszubreiten und bildeten ein spinnennetzartiges Muster unter meiner Haut.
„Nein“, flüsterte ich, während Panik in mir aufstieg. „Das ist nicht normal … meine Reaktion auf Silber sollte nicht so heftig sein.“
Der Schmerz wurde mit jeder Sekunde unerträglicher. Mein Blickfeld begann an den Rändern zu verschwimmen. Ich taumelte vorwärts, in der einen Hand meine Einkaufstüte umklammert, während ich die andere zur Stütze gegen die Hauswand presste.
Mein Atem ging in kurzen, hechelnden Zügen, als mir kalter Schweiß auf die Stirn trat. Jeder Nerv in meinem Arm schrie vor Qual, und ich kämpfte gegen die aufsteigende Flut der Angst an, die an meiner Brust kratzte. Die schwarzen Linien schienen lebendig zu sein, pulsierten mit einer dunklen Energie, die meine Haut kribbeln ließ. Ich versuchte, mich zu stabilisieren, und zwang meinen Körper, nur noch ein wenig länger durchzuhalten.
Die schwarzen Linien breiteten sich weiter meinen Arm hinauf aus, und jeder meiner Herzschläge trieb die Silbervergiftung tiefer in meinen Körper. Meine Atmung wurde mühsam, und trotz der kühlen Luft perlte Schweiß auf meiner Stirn.
Ich schaffte es bis zum Parkplatz, bevor meine Beine nachgaben. Die Einkaufstüte glitt mir aus den Fingern, als ich mich an der Motorhaube eines Autos festhielt, um aufrecht zu bleiben. Das Silbergift löste meine unterdrückte Wolfsnatur aus und verursachte schmerzhafte Krämpfe in meinem ganzen Körper.
„Nein … nicht hier“, stöhnte ich und kämpfte gegen die Verwandlung an, die mich zu überwältigen drohte. „Darf die Kontrolle nicht verlieren … nicht in der Öffentlichkeit …“
Ich tastete nach meinem Handy, aber meine Finger waren taub und ungelenk. In drei Jahren im Exil hatte ich noch nie eine so heftige Reaktion auf Silber erlebt.
Als meine Knie schließlich nachgaben, rutschte ich am Auto entlang auf den kalten Asphalt. Mein Bewusstsein schwand schnell, die Welt um mich herum wurde fern und gedämpft.
Durch den Schleier des Schmerzes nahm ich vage Schritte wahr, die sich näherten. Ich konnte meinen Kopf nicht heben, um zu sehen, wer es war, aber ich spürte, wie jemand neben mir niederkniete.
Eine warme Hand berührte meinen verletzten Arm, und eine männliche Stimme fluchte. „Scheiße, das ist eine Silberwunde!“
Ich wollte den Fremden wegstoßen, konnte aber die Worte nicht formen. Die Berührung meiner Wunde sandte eine neue Welle der Qual durch mich, die die Wirkung des Silbers irgendwie noch verstärkte.
„Nicht …“, schaffte ich es zu flüstern. „Fass mich nicht an …“
Der Fremde ignorierte meine Bitte und untersuchte die sich ausbreitenden schwarzen Linien mit offensichtlicher Sorge. Als er sich näher beugte, nahm ich einen starken Geruch wahr – unverkennbar Werwolf.
Ich versuchte mich zu wehren, aber meine Kraft war dahin. Der Fremde hob mich mühelos hoch, doch dabei schien das Silbergift heftig auf seine Berührung zu reagieren und sich noch schneller in meinem Körper auszubreiten.
„Es tut weh …“, keuchte ich. „Warum … schlimmer, wenn du … berührst …“
Ich spürte, wie ich in ein Fahrzeug gelegt wurde, die Stimme des Fremden drang eindringlich, aber nur bruchstückhaft an meine Ohren. Die Bewegung des Autos beschleunigte das brennende Gefühl, und die Dunkelheit kroch weiter in mein Blickfeld.
Seltsamerweise verstärkte sich das Brennen des Silbers jedes Mal, wenn der Fremde mich berührte, um meine Position zu korrigieren oder meinen Puls zu fühlen, als ob seine Anwesenheit die Wirkung irgendwie verstärkte.
„Warum … macht seine Berührung … das Silber … stärker?“, dachte ich benommen, während das Bewusstsein dahinschwand.
Das Letzte, was ich wahrnahm, bevor mich die völlige Dunkelheit verschlang, war die mächtige Aura eines Alphas, die mich umgab, vertraut von … Devon?
