Kapitel 5 — Sicher und geliebt

Perspektive von Rylen Varric

Krankenflügel

Festung Sturmkralle

Taya sah aus wie die Hölle. Wunderschön, stur und knurrend wie die Hölle. Was bedeutete, dass es ihr bald wieder gut gehen würde. Ich saß auf dem verdammten Heilerstuhl neben ihrem Bett, die Arme verschränkt, das Bein wippte, als hätte ich einen gottverdammten Motor an meinen Oberschenkel geschnallt, und beobachtete sie beim Atmen, als wäre das das Einzige, was mich davon abhielt, den gesamten Flügel zu zerlegen.

Verbände umwickelten ihre Rippen, ein Arm steckte in einer weichen Schiene und ihr rotes Haar war von getrocknetem Schweiß und ein wenig Blut verfilzt. Ihr Gesicht? Immer noch das verdammt schönste, was ich je gesehen hatte.

Auch wenn sie mich finster anblickte.

„Du atmest wie ein brünstiges Tier“, knurrte sie, ohne die Augen zu öffnen. „Such dir einen Boxsack oder ein Hobby, bevor ich dir einen Kehlkopfschlag verpasse, Ry.“

Ich grunzte und beugte mich vor, strich mit den Fingern über ihren unverletzten Arm. „Du lebst. Schlag ruhig zu.“

Ihre Augen öffneten sich einen Spaltbreit, kaum merklich. „Du bist nervig.“

„Zur Kenntnis genommen“, sagte ich und rührte mich immer noch nicht.

„Es geht ihr gut“, murmelte Anton in meinem Hinterkopf und tigerte umher wie ein Raubtier im Käfig. „Aber sieh noch mal nach. Riech an ihr. Scanne sie. Was, wenn wir etwas übersehen haben? Was, wenn …“

Zukis Stimme peitschte dazwischen. „Uns geht es gut, du Dummkopf. Beruhige dich, bevor deine übersteigerte Gefährten-Energie die ganze Burg erstickt.“

Anton schnaubte. Ich hätte fast gelächelt.

Taya schnaubte ebenfalls. „Lass mich raten. Zuki hat dir gesagt, du sollst dich verpissen?“

„So ähnlich.“ Ich strich ihre wilden Locken aus dem Gesicht. „Aber ich gehe nicht weg. Nicht, bis ich verdammt sicher bin, dass du hierbleibst. In einem Stück. Bei mir.“

Sie starrte mich an. Blinzelte langsam. Dann seufzte sie und griff nach oben, um ihre Finger in meinen Hemdkragen zu haken.

„Komm ins Bett, bevor ich es mir anders überlege und dich beiße“, murmelte sie.

„Erlaubnis erteilt“, bellte Anton wie ein glücklicher Welpe. „Gefährtin berühren. Mit Gefährtin kuscheln. Gefährtin nie wieder gehen lassen.“

Ich kletterte vorsichtig zu ihr und legte meinen Arm um ihre Schulter, ohne auf ihre blauen Flecken zu drücken. Sie schmiegte sich an mich, wie sie es immer tat, als würde sie genau dorthin gehören.

„Nächstes Mal“, sagte ich leise, „lass mich derjenige sein, der in Vampir-Todestürme stürmt.“

„Nächstes Mal“, flüsterte sie zurück, „gehen wir beide. Und wir brennen den Laden bis auf die Grundmauern nieder.“

„Morden“, summte Anton. „Ich mag sie.“

Zuki kicherte über die Verbindung. „Klar doch, wir sind großartig.“

Ich küsste sie auf den Scheitel und hielt sie fester, ließ den gleichmäßigen Rhythmus ihres Herzschlags meinen eigenen verankern. Sie war mein Zuhause.

Und ich würde nirgendwo hingehen.

Perspektive von Amaris Grayfall

Krankenflügel

Festung Sturmkralle

„Ich hab’s dir doch gesagt“, keuchte Jace mit einem Grinsen, „Vampirklauen sind nur schicke Rückenkratzer. Du hättest mal den anderen Typen sehen sollen …“

„Du meinst den, der dich aufgeschlitzt hat?“, fuhr ich ihn an, während ich mit einem nassen Tuch und viel zu vielen unterdrückten Gefühlen über ihm schwebte. „Ja, Jace. Der sah super aus.“

Er kicherte und zuckte gleichzeitig zusammen, was mich nur noch wütender machte.

„Er ist in Ordnung“, murmelte Sira in meinem Hinterkopf, ihre Stimme sanft und heiter wie eine Brise, die durch Kiefernnadeln streicht. „Er atmet. Er ist heil. Lass dein Herz zur Ruhe kommen, kleine Flamme.“

Kleine Flamme. Nur Sira nannte mich so. Und in diesem Moment stand ich kurz davor, lichterloh zu brennen. Jace lag auf der Liege, als wäre er nicht gerade durch die Hölle gegangen, sein Hemd in Fetzen gerissen, Blutergüsse, die wie dunkle Farbe auf seinen Rippen aufblühten. Seine linke Seite war genäht und glühte schwach von Heilungsrunen.

Ich hasste es, ihn so zu sehen. Ich hasste die Art, wie er durch den Schmerz hindurch lächelte. Als wollte er nicht, dass ich mir Sorgen machte. Als wüsste er nicht, dass ich es immer tun würde.

„Du bist nicht unbesiegbar“, murmelte ich und wischte Blut von seiner Schläfe. „Du musst nicht so tun, als wärst du es.“

„Ich weiß“, sagte er leise, sein Blick traf meinen. „Aber ich mag es, dein Held zu sein.“

Ich erstarrte. Meine Kehle schnürte sich zu. „Das bist du“, flüsterte ich.

Seine Hand fand meine, raue Finger verschränkten sich sanft mit meinen. „Sogar mit einem Loch in der Seite?“

„Besonders mit einem Loch in der Seite“, sagte ich, setzte mich auf die Bettkante, beugte mich über ihn und strich ihm das Haar aus der Stirn. „Weil du zurückgekommen bist.“

Er neigte den Kopf nach oben, sein Gesicht wurde weicher. „Immer. Ich habe es dir versprochen.“

„Der Gefährte ist stark. Stur. Wie du“, meldete sich Sira, und Wärme durchflutete meine Brust. „Deine Liebe macht ihn stärker. Lass es zu.“

Ich atmete aus und ließ endlich meine Deckung fallen, als ich meine Stirn an seine lehnte. Er küsste meinen Mundwinkel mit aufgesprungenen Lippen und flüsterte: „Findest du mich immer noch sexy?“

Trotz der Tränen, die hinter meinen Augen brannten, entfuhr mir ein Lachen. „Nur, wenn du blutest.“

Er grinste, seine Augen schlossen sich. „Wusste ich’s doch.“

Ich zog die Decke höher um seine Taille, rollte mich so vorsichtig wie möglich neben ihm zusammen und erlaubte mir, ihn in Sicherheit zu spüren.

Ob verwundet oder nicht, ob gebrochen oder heil, Jace gehörte mir.

Perspektive von Elowen Skye

Festung Sturmklaue

Gästeflügel

Genesungskammer

Ich hatte mich seit Stunden nicht von der Chaiselongue gerührt. Bram hatte mich hierhergetragen, Decke und alles, und sich draußen postiert wie der zwei Meter große, bärengleiche Wachhund, der er war. Gedankenverloren scrollte ich auf meinem Handy, während Lyssira in meinem Hinterkopf murmelte, immer halb auf das schlafende Mädchen auf der anderen Seite des Zimmers konzentriert.

Sie sah … zerbrechlich war nicht das richtige Wort. Sie sah aus wie ein zersplitterter Sonnenstrahl.

Goldbraunes Haar lag verstrickt auf dem Kissen, ihre Haut war gebräunt, aber von mondfarbenen Blutergüssen übersät, und hinter geschlossenen Lidern flackerten leuchtend goldene Augen. Hin und wieder zuckten ihre Finger, als würde sie im Traum immer noch gegen etwas kämpfen.

„Sie ist nah“, flüsterte Lyssira. „Ihre Seele erwacht.“

Ich legte das Handy beiseite, gerade als sich ihre Lippen teilten und ein leises Wimmern entwich. Mein Herz zerbrach. Ich stand auf … unbeholfen, sanft … und humpelte die wenigen Schritte zu ihrem Bett.

„Hey“, sagte ich leise und strich ihr eine verirrte Strähne von der Stirn. „Du bist jetzt in Sicherheit, ich verspreche es …“

Ihre Augen rissen auf. Sie schnappte nach Luft, schrie dann und krabbelte so schnell rückwärts, dass das Metallbettgestell klapperte. Ihr Rücken prallte gegen die Wand, die Knie an die Brust gezogen, ihr Atem scharf und unregelmäßig.

Und dann sah sie mich an. Sah mich wirklich an. Leuchtendes Gold traf auf leuchtendes Blau, wie Zwillingsflammen, die zu entscheiden versuchten, ob sie Freunde oder Feinde waren.

Wir starrten uns an. Schweigend. Wartend. Ich streckte nicht noch einmal die Hand nach ihr aus.

„Mein Name ist Elowen“, sagte ich sanft und hielt meine Stimme tief und ruhig. „Meine Wölfin ist Lyssira. Ich habe dich in einem Traum gesehen. Deine Seele hat nach mir gerufen.“

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. „Also habe ich geantwortet.“

Sie blinzelte nicht. Sprach nicht. Aber ihre Hände zitterten.

„Ich bin froh, dass du aus diesem Käfig raus bist“, fügte ich hinzu und trat einen kleinen Schritt zurück, um ihr Raum zu geben. „Du bist hier sicher.“

Ein Atemzug. Noch einer. Dann endlich teilten sich ihre Lippen.

„Ich bin … Noctara Velmira.“

Die Tür knarrte auf, bevor ich antworten konnte.

„Velmira?“, Lunas Aeliras Stimme klang mit einer plötzlichen Schärfe, die uns beide zusammenzucken ließ. Sie trat ein, fassungslos, die Hände vor den Mund geschlagen. „Aus der alten Velmira-Linie?“

Noctara erstarrte.

„Kind“, flüsterte die Luna und trat langsam näher. „Wer waren deine Eltern?“

„Ich weiß es nicht“, flüsterte Noctara. „Ich wurde in einem Rudel von Abtrünnigen aufgezogen. Sie … sie sagten mir, meine Eltern seien getötet worden. Ich war fünf.“

Aelira sog so laut die Luft ein, dass etwas in dem Raum zu zerbrechen schien. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Knie gaben nach und sie umklammerte die Bettkante, um sich zu stützen.

„Ich wusste doch, dass du mir bekannt vorkommst“, flüsterte sie. „Ich wusste es. Deine Mutter hatte dasselbe Gold in ihren Augen. Dein Vater … seine Stimme hallte wie Donner, wenn er sprach.“

Noctara starrte sie nur an, die Lippen zitternd.

„Sie wurden vom Hollow Creed getötet. Vor vierzehn Jahren. Wir alle dachten, ihre Tochter sei ebenfalls tot.“ Aelira brach in Schluchzen aus und verbarg das Gesicht in den Händen. „Du bist die verschwundene Alpha-Tochter der Velmira-Linie. Es gibt eine ganze Festung im Osten, die deinen Namen trägt. Deine Eltern herrschten dort, Lords unter Alpha-König Draven persönlich. Deine Blutlinie reicht bis zu den Ersten Wölfen zurück.“

Noctara sagte kein Wort. Zog nur ihre Knie fester an sich. Verarbeitete. Zerbrach. Heilte. Alles auf einmal. Ich trat wieder langsam vor und ließ mich neben ihr auf dem Bett nieder.

„Du musst das alles nicht allein tragen“, sagte ich sanft. „Du hast jetzt mich.“

Sie blinzelte mich an.

„Wir sind Schwestern“, sagte ich mit Nachdruck. „Seelenschwestern. Rudelschwestern. Traumaschwestern. Schicksalsschwestern. Nenn es, wie zum Teufel du willst.“

Ich schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Du wirst mich jetzt nicht mehr los. Punkt.“

Ihre goldenen Augen schimmerten. Ihre Schultern sanken kaum merklich vor Erleichterung, und ich seufzte. Sie hatte noch einen langen Weg vor sich.

Perspektive von Noctara Velmira

Krankenflügel

Sturmfelsen-Festung

In Sicherheit

Zum ersten Mal in meinem Leben war die Stille nicht furchteinflößend.

Es war nicht die schwere, atemlose Ruhe, bevor eine Faust einschlug, oder die kranke, kalte Stille, die sich nach einem Schrei in der Dunkelheit ausbreitete. Es war nicht das Geräusch rasselnder Ketten oder grausames Lachen, das von Steinmauern widerhallte.

Sie war sanft. Still. Sicher. Und sie jagte mir auf eine völlig neue Weise Angst ein.

Ich saß auf dem Bett … meinem Bett? … eingewickelt in die weichste Decke, die ich je berührt hatte. Mein Körper schmerzte immer noch, als wäre ich von einem Monster zerkaut und wieder ausgespuckt worden. Meine Haut, gezeichnet von verblassenden blauen Flecken, fühlte sich fremd an. Ich hatte mich so sehr an den Schmerz gewöhnt, dass seine Abwesenheit mich zusammenzucken ließ.

Aber es war sie … Elowen. Das Mädchen aus meinem Traum. Die, deren Augen wie Mondfeuer geleuchtet hatten. Sie sah mich. Nicht das Chaos. Nicht das Trauma. Mich.

„Ich glaube, wir sind in Sicherheit“, flüsterte ich Lynthra zu.

Meine Wölfin regte sich langsam in meinem Kopf, wie eine Kreatur, die jahrelang geschlafen hatte. Ihre Stimme war heiser und zitterte vor Gefühl. „Ich weiß“, flüsterte sie zurück. „Ich spüre es auch.“

Tränen stiegen ungebeten in mir auf. Die Art, die ich früher hinunterschluckte und unter Härte und Knurren begrub. Aber jetzt? Ich ließ sie fließen. Still. Heiß. Reinigend. Ich blickte auf meine zitternden Hände und erkannte, dass sie nicht zu Fäusten geballt waren. Ich war nicht zu einem schützenden Ball zusammengekauert. Mein Rücken war nicht gegen eine Wand gepresst. Ich saß aufrecht. Atmete. Heilte.

„Wir können uns jetzt ausruhen“, flüsterte Lynthra und schmiegte sich an meine Seele. „Du musst nicht mehr jede Sekunde kämpfen.“

Mein Atem stockte. Ich hatte mich noch nie … ausgeruht.

Selbst im Schlaf hatte ich gekämpft. In Träumen hatte ich geblutet. Jeder Moment meines Lebens war ein Überlebenskampf, aber jetzt? Da waren leuchtende Augen und warme Decken. Sanfte Stimmen anstelle von knurrenden Drohungen. Eine Luna, die weinte, als sie mich ansah, nicht aus Enttäuschung, sondern aus Anerkennung und Liebe.

Ich war jemand. Ich bedeutete etwas. Mein Name, Noctara Velmira, war kein Fluch. Er war ein Vermächtnis. Und zum ersten Mal glaubte ich, dass ich lange genug leben würde, um es anzutreten.

Ich rollte mich wieder unter der Decke zusammen und ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken, das schwach nach Lavendel und Sicherheit roch. Ich zog den weichen Stoff enger an mich, und Lynthra seufzte in meinem Kopf und rollte sich mit mir zusammen wie ein schützender Schatten.

„Wir sind in Sicherheit“, flüsterte ich laut, meine Stimme brach. Diesmal keine Frage. Eine Wahrheit.

Ein verdammtes Wunder. Und ich würde es nicht mehr loslassen. Nie wieder.

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