Kapitel 1

ARIA

Im Wartezimmer überkam mich erneut die Übelkeit. Seit einer Woche fühlte ich mich schrecklich – erschöpft, schwindelig, unfähig zu essen.

„Frau Taylor?“, rief die Krankenschwester.

Dr. Stevens nahm mir Blut ab. Zwanzig Minuten später kehrte sie mit meiner Akte zurück.

„Sie sind schwanger. Sechste Woche.“

Der Raum drehte sich. Ich umklammerte den Stuhl, meine alte Wirbelsäulenverletzung schmerzte.

„Das ist unmöglich.“

„Die Blutergebnisse sind eindeutig.“ Sie schob den Befund zu mir herüber.

Ich starrte darauf. Schwanger. Blakes Kind.

„Falls jemand fragt, sagen Sie es bitte niemandem“, sagte ich schnell. „Das ist meine Privatsache, okay?“

„Selbstverständlich. Aber vereinbaren Sie bitte bald einen Folgetermin.“

„Werde ich machen“, log ich.

Im Aufzug berührte ich meinen flachen Bauch. Ein Kind. Der Gedanke hätte Freude bringen sollen. Stattdessen spürte ich nur Furcht. Blake hatte es unmissverständlich klargemacht – unsere Vereinbarung war vorübergehend. Geschäftlich, nicht persönlich.

Und ein Kind war die größtmögliche Komplikation.

Vor dem Krankenhaus schnitt der Herbstwind durch meinen Mantel. Ich blieb einen Moment stehen und beobachtete, wie andere Patienten mit ihren Familien kamen und gingen. Einige hielten Händchen. Andere lachten zusammen.

Ich war allein.

Mein Handy vibrierte. Drei verpasste Anrufe von Jack.

„Aria, wo bist du?“, flüsterte er, als ich zurückrief. „Mr. Morgan wartet seit dreißig Minuten. Er ist stinksauer. Die Finanzchefin hat gerade weinend sein Büro verlassen.“

Ich presste meine Hand auf meinen Bauch. Es tut mir leid, Kleines. Dein Vater weiß nicht, dass es dich gibt.

Zwanzig Minuten später stand ich vor Blakes Bürotür und atmete tief durch, bevor ich anklopfte.

Blake stand mit steifem Rücken an den Fenstern seines Büros. Die Nachmittagssonne warf lange Schatten über seinen Mahagonischreibtisch.

„Du bist fünfunddreißig Minuten zu spät.“ Seine Stimme war kalt. Er drehte sich nicht um.

„Ich bitte um Entschuldigung. Ich hatte einen Arzttermin.“

„Der stand nicht in meinem Kalender.“ Jetzt drehte er sich um, seine eisblauen Augen bohrten sich in mich. „Deine Aufgabe ist es, meinen Terminkalender zu verwalten, Aria. Nicht, ihn durcheinanderzubringen.“

„Ja, Mr. Morgan.“

„Heute Abend um sieben gehen wir zur Spendengala der Familie Carter.“

Ich schluckte schwer. „Ich fühle mich nicht gut. Könnte ich …“

„Fragst du mich oder teilst du es mir mit?“ Er setzte sich und lehnte sich zurück. „Denn wenn du fragst, lautet die Antwort nein.“

Immer so kalt.

„Ich werde bereit sein“, sagte ich leise.

„Die Carters sind wichtige Partner. Es geht um Produktionsverträge im Wert von Millionen. Du wirst lächeln, höflich sein und daran denken, dass du als meine Frau dort bist.“ Er nahm einen Stift in die Hand und tat mich damit ab. „Sei nicht noch einmal zu spät.“

Als ich sein Büro verließ, dachte ich an jene Nacht vor drei Jahren – die Nacht, die alles verändert hatte.

Ich hatte auf einer Feier der Familie Morgan gekellnert. Meine Mutter Christine hatte mir den Job besorgt – als Strafe dafür, dass ich Emma Grant schon wieder beleidigt hatte.

Am nächsten Morgen wachte ich in Blakes Suite auf.

Sie sagten, ich hätte ihn unter Drogen gesetzt. Dass ich in sein Bett gekrochen sei. Niemand glaubte meinen Beteuerungen.

Blake stellte mich vor die Wahl: ein Fünfjahres-Ehevertrag, um seinen Ruf zu retten, oder eine Strafanzeige.

Mein Vater Aaron hatte gerade einen Schlaganfall erlitten. Die Arztrechnungen machten uns fertig.

Ich unterschrieb.

Seit drei Jahren lebe ich dieses Doppelleben. Tagsüber Vorstandsassistentin, hinter verschlossenen Türen Vertragsehefrau. Niemand außer Blakes engstem Kreis weiß davon.

An diesem Abend erstrahlte das Anwesen der Carters im Glanz von Lichtern und Luxusautos. Ich trug ein schlichtes schwarzes Kleid in der Hoffnung, unsichtbar zu bleiben.

Als Blake und ich eintraten, verstummten die Gespräche und die Köpfe drehten sich zu uns um.

„Die Tochter des Mörders. Wie kann sie es wagen, hierherzukommen?“

„Ich habe gehört, sie hat Blake für ihren Job verführt.“

Ich hielt den Blick gesenkt.

Ernest Carter begrüßte Blake herzlich. „Die Verträge liegen nächste Woche zur Prüfung bereit.“

„Ich freue mich darauf.“

Ernests Blick zuckte zu mir und dann wieder weg. Keine Vorstellung. Nur kalte Ablehnung.

Den ganzen Abend über spürte ich sie – die unsichtbare Mauer. Die Mitglieder der Carter-Familie waren höflich, aber distanziert. Andere Gäste mieden mich.

Die Tochter des Mörders. Mehr werde ich wohl nie sein.

Dann betrat Charlotte Carter die Bühne. Sie strahlte, ihre Hand lag auf einem kleinen Babybauch. Ihr Ehemann Arthur Pierce stand neben ihr.

„Vielen Dank, dass Sie alle gekommen sind“, sagte Charlotte. „Ihre Großzügigkeit wird Tausenden von Kindern eine Ausbildung ermöglichen.“

Applaus erfüllte den Raum.

„Arthur und ich möchten eine Neuigkeit mit Ihnen teilen. Wir sind schwanger.“

Der Raum brach in Jubel aus. Auf der Leinwand erschien ein Ultraschallbild – ein winziges, perfektes Leben.

„Nach zwei Jahren des Versuchens und unzähligen Enttäuschungen hatten wir die Hoffnung fast aufgegeben“, fuhr Charlotte mit erstickter Stimme fort. „Aber Wunder geschehen. Dieses Kind wird schon jetzt so sehr geliebt.“

Arthur küsste sie auf die Schläfe. Das perfekte Bild von Liebe und Partnerschaft.

Ich presste meine Hand auf meinen Bauch, verborgen unter dem Kleid. Mein Kind. Blakes und meins. Ein Wunder, das niemand feiern wird.

„Du scheinst dich für Kinder zu interessieren.“ Blakes Stimme war kühl.

Ich holte tief Luft. „Wenn wir ein Kind hätten –“

„Unmöglich.“ Er schnitt mir das Wort ab. „Aria, ich will keine Kinder mit dir. Unser Vertrag ist eindeutig. In zwei Jahren beenden wir das hier und gehen getrennte Wege.“

Jedes Wort stach mir ins Herz.

„Das ist eine Geschäftsbeziehung“, sagte er leise. „Nichts weiter.“

Er weiß es nicht. Er weiß nicht, dass bereits ein Leben in mir heranwächst.

Ich entschuldigte mich und schloss mich in einer Toilettenkabine ein, presste meine Faust auf den Mund, um die Schluchzer zu unterdrücken.

Stunden später, zurück im Hampton-Anwesen, ging ich direkt ins Badezimmer. Meine Hände zitterten, als ich den Schwangerschaftsbefund herausholte. Ich starrte ein letztes Mal darauf – der Beweis für das Leben, das Blake niemals wollen würde.

Dann zerriss ich ihn in Stücke und spülte sie die Toilette hinunter.

Es tut mir leid, mein Kleines. Dein Vater will dich nicht.

Ich saß auf dem kalten Boden, umklammerte meine Knie und weinte still vor mich hin.

Als ich herauskam, saß Blake auf dem Sofa und tippte auf seinem Handy. Sein Gesichtsausdruck war weich, zärtlich – ein Blick, den er mir gegenüber nie zeigte.

„Du warst lange da drin.“

„Ich habe mich nur frisch gemacht.“

„Wo warst du heute Nachmittag?“

„Im Krankenhaus. Ich habe mich nicht gut gefühlt.“

„Was haben sie gesagt?“

„Nichts Ernstes. Nur Stress.“

Blake stand auf und trat hinter mich. Seine Arme schlangen sich um meine Taille, seine Lippen streiften meinen Hals.

Was, wenn ich es ihm sagen würde? Was, wenn er dieses Kind doch wollte?

Dann klingelte sein Telefon.

Blake ließ mich sofort los und ging ran. „Hallo?“

Seine Stimme wurde wärmer, seine Lippen verzogen sich zu einem echten Lächeln.

„Ich weiß. Ich habe auch darüber nachgedacht“, sagte er leise und drehte sich weg.

Ich stand da, plötzlich fröstelnd, und sah zu, wie mein Ehemann mit jemand anderem in einer Zärtlichkeit sprach, die er mir nie gezeigt hatte.

Nächstes Kapitel