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Isabellas Perspektive.
Es war wieder so ein elender Tag, einer dieser Tage, an denen ich es hasste, morgens die Augen zu öffnen.
Schon in dem Moment, als ich aufwachte, wusste ich genau, wie mein Abend aussehen würde – ich, gefangen in der Küche, kochend und putzend wie eine Dienerin, während alle anderen lachten, tranken und sich die Bäuche vollschlugen.
Stundenlang stand ich über den Herd gebeugt, die Hitze klebte an meiner Haut, Schweiß tropfte von meiner Stirn, während der Duft von gebratenem Fleisch die Luft erfüllte. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und flehte um nur einen Bissen, aber ich wusste es besser, als es zu versuchen. Wenn ich auch nur einen Krümel anrührte, bevor sie fertig waren, würde ich es mit blauen Flecken bezahlen.
Als das Essen endlich fertig war, trug ich es ins Esszimmer. Sie waren alle da, meine Mutter, ihr Freund und jeder verdammte Verwandte, der sich ins Haus drängte, als gehöre es ihnen.
Sie saßen Schulter an Schulter um den langen Holztisch, lachten, stopften sich die Münder voll, tauschten Witze, als wären sie eine glückliche Familie aus einem Märchenbuch. Niemand schaute mich an. Niemand tat das jemals.
Ich stand in der Ecke, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, und beobachtete sie beim Essen, als ob ich gar nicht existierte. Mein Magen knurrte so laut, dass ich sicher war, jemand würde es bemerken, aber sie waren zu beschäftigt damit, sich das Fett von den Fingern zu lecken. Ich schlich zurück in die Küche und betete, dass mir niemand folgte.
Ich war klug genug gewesen, ein Stück Fleisch früher zu verstecken, ein winziges Stück, nicht größer als meine Handfläche, das Einzige, was mich davor bewahren sollte, in Ohnmacht zu fallen.
Meine Finger zitterten, als ich danach griff. Ich konnte es schon in meinem Mund schmecken, mein Hunger war so scharf, dass es fast schmerzte. Doch bevor ich es überhaupt an meine Lippen heben konnte, schlug mich eine harte Hand auf den Boden.
Schmerz schoss durch meine Knie, als ich auf die Fliesen aufschlug, und meine Brust zog sich zusammen, als ich aufsah. Es war sie.
Meine Mutter. Die Frau, die mir das Leben schenkte, aber mich mehr hasste als alle anderen auf der Welt. Ihr Gesicht war vor Wut verzerrt, ihre Augen leuchteten schwach golden, als ihr Wolf unter ihrer Haut erwachte.
Sie beugte sich nahe zu mir herunter, ihre Lippen zogen sich zurück, und ihre Stimme kam tief und grausam heraus. „Was zur Hölle glaubst du, tust du, Isabella? Uns Essen stehlen?“ Ihre Worte tropften vor Gift. Sie stieß mich erneut, ihre Nägel gruben sich in meinen Arm.
Ich ballte die Fäuste gegen den Boden, mein Körper zitterte. Jahrelang hatte ich ihre Misshandlungen ertragen, weil ich keinen anderen Ort hatte, an den ich gehen konnte.
Ich sagte mir, ich könnte es überleben, wenn ich still blieb. Aber in dieser Nacht brach etwas in mir. Ich hob den Kopf, ignorierte das Hämmern in meiner Brust, und meine Stimme brach, als ich laut genug schrie, dass es jeder hören konnte. „Ich bin deine Tochter! Hast du das vergessen? Warum behandelst du mich wie Dreck?“
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie neigte den Kopf, ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, das mir die Haut kribbeln ließ. „Weil du Dreck bist. Schau dich an. Dreckig. Schwach. Erbärmlich. Du ekelst mich an, Isabella.“
Meine Brust zog sich zusammen, Tränen brannten hinter meinen Augen, aber ich weigerte mich wegzusehen.
Meine Hände zitterten, doch ich fand die Kraft, zurückzuschreien, meine Worte sprudelten wie Feuer heraus. „Ich bin dreckig, weil du mich zwingst, draußen im Regen zu schlafen wie einen streunenden Hund! Ich bin mager, weil du mir nur Reste und Abfälle zu essen gibst! Ich sehe elend aus, weil du mir keine Kleidung kaufst oder dich darum kümmerst, ob ich im Winter erfriere! Und weißt du überhaupt, was heute ist? Es ist mein Geburtstag. Ich werde heute Nacht achtzehn, Mutter.“
Für den kleinsten Moment dachte ich, ich würde sehen, wie ihr Ausdruck wankte, als ob sie sich vielleicht daran erinnern würde, dass ich ihr Kind war. Vielleicht würde sie mir den kleinsten Funken Liebe zeigen. Doch stattdessen knallte ihre Hand so hart gegen mein Gesicht, dass mein Kopf zur Seite schnappte.
Ihre Stimme war scharf wie zerbrochenes Glas. „Nenn mich nie Mutter. Du bist nichts als ein Fehler. Hörst du mich? Ein Fehler aus einer wilden Nacht mit einem Bärengestaltwandler. Du solltest der Mondgöttin jeden einzelnen Tag danken, dass ich dich unter meinem Dach atmen lasse.“
Meine Wange brannte, mein Kiefer pochte, aber der Schmerz in meiner Brust war schlimmer. Wut stieg in mir auf, heiß und erstickend. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich, ich könnte mich in einen Wolf verwandeln, in einen Bären, in irgendetwas Starkes genug, um sie auseinanderzureißen und zu beweisen, dass ich nicht schwach war. Aber nichts geschah. Mein Körper blieb menschlich, zerbrechlich, nutzlos.
Ihre Faust krachte in meinen Magen, riss mir mit einem brutalen Schlag die Luft aus den Lungen. Ich krümmte mich, rang nach Atem, aber sie hörte nicht auf. Sie trat mich erneut, härter, als wäre ich ihr Feind, nicht ihr Kind. Meine Lungen schrien nach Luft, während ich mich am Boden krallte, mich zur Tür schleppte, verzweifelt versuchte zu entkommen.
„Wo zur Hölle glaubst du, gehst du hin, Schlampe?“ schrie sie mir hinterher, ihre Stimme hallte in meinen Ohren.
Ich drehte den Kopf, meine Stimme heiser, aber voller Trotz. „Du bist die Schlampe. Du bist diejenige, die mit allem schläft, was sich bewegt. Ich bin noch Jungfrau. Und ich gehe. Heute Nacht. Für immer.“
Die Worte explodierten aus mir, bevor ich sie zurückhalten konnte, und in dem Moment, als sie es taten, durchzuckte mich Reue. Im nächsten Augenblick riss sie an meinen Haaren und zerrte mich zurück ins Haus. Ich schrie, aber ihr Freund schlug die Tür mit einem schweren Knall zu. Meine Verwandten saßen auf ihren Stühlen und schauten zu, keiner von ihnen rührte sich, um zu helfen. Ihr Lachen hallte durch den Raum, grausam und scharf.
Meine Mutter grinste, ihre Augen glitzerten vor Bosheit. „Weißt du was, Isabella? Vielleicht ist es an der Zeit, dass du lernst, wie ich zu sein.“
Mein Magen verkrampfte sich. „W-was meinst du?“ flüsterte ich, meine Stimme zitterte.
Ihr Lächeln wurde breiter, grausam und gemein. Sie wandte ihren Blick zu den Männern am Tisch, ihre Augen glitten über jeden von ihnen, als ob sie Obst auf einem Markt auswählte. „Es ist Zuchtzeit. Sie brauchen ein Spielzeug. Und schau dich an. Hässlich, dreckig, aber immer noch weiblich. Sie können dich benutzen. Du solltest dich geehrt fühlen.“
Ihre Worte trafen mich wie eine Klinge. Mein Blick verschwamm, meine Ohren klingelten. „Was? Das kannst du nicht ernst meinen! Du bist meine Mutter!“ Meine Stimme brach, aber sie lachte nur, der Klang scharf und hohl.
„Nicht nur ein Spielzeug“, zischte sie. „Eine Zuchtsklavin. Und vielleicht mache ich mit. Warum nicht? Du hast mich als Hure beschimpft, erinnerst du dich? Vielleicht sollte ich es beweisen.“
Mein Inneres verknotete sich, Übelkeit brannte in meinem Hals. Mein ganzer Körper zitterte, als ich sah, wie die Männer von ihren Stühlen aufstanden, ihre Augen dunkel und hungrig.
„Warum?“ weinte ich, Tränen liefen über meine Wangen. „Warum tust du das? Ich bin deine Tochter. Bitte, wach auf. Bitte.“
Ihre Zähne knirschten, und sie spuckte ihren Hass wie Gift. „Dein Vater war ein Bär. Er hat mich belogen. Er hatte eine Gefährtin, aber er nahm meine Jungfräulichkeit und verschwand. Du bist nichts als sein Fluch, Isabella.“
Meine Lippen zitterten, als ich keuchte: „Also bestrafst du mich für seine Sünden? Du nimmst Rache an mir?“
Sie schaute zur Decke, ihr Gesicht ohne Gnade. Für einen Moment dachte ich, sie könnte zögern, könnte einen Funken Menschlichkeit zeigen. Aber stattdessen drehte sie sich um und sagte kalt: „Macht es. Fickt sie einfach.“
Die Männer stürzten sich auf mich, ihre rauen Hände packten meine Arme und Beine. Ein schwerer Körper drückte mich zu Boden, zerquetschte mich auf dem Boden. Meine Schreie wurden von den Wänden geschluckt, nutzlos. Unser Haus war zu weit vom Rudel entfernt, zu weit, als dass jemand mich hören könnte. Mein Herz schlug vor Angst. Aber mitten in all dem kam mir eine verzweifelte Idee.
„Wartet!“ rief ich, meine Stimme zitterte, aber laut genug, um sie zum Anhalten zu bringen. „Lasst mich zuerst ein Bad nehmen. Lasst mich wenigstens sauber für euch sein.“
Ihre Augen flackerten verwirrt zwischen einander, dann kicherte einer von ihnen. Der Freund meiner Mutter grinste schamlos. „In Ordnung. Aber beeil dich. Ich bin schon steif. Lass mich nicht warten.“
Sie stießen mich ins Badezimmer, ihre Hände begrapschten mich, während ich stolperte. Einer schlug mir auf den Hintern, ein anderer drückte meine Brust, ihr Lachen hallte hinter mir. Mein Magen drehte sich um, Galle stieg in meiner Kehle auf, aber ich zwang mich, weiterzugehen.
Sie wussten es nicht. Sie hatten keine Ahnung von dem kleinen Fenster im Duschraum. In dem Moment, als die Tür sich schloss, kletterte ich auf das Waschbecken, schob meinen Körper durch den engen Rahmen und fiel in die Nacht hinaus. Meine Knie schürften sich auf, meine Arme brannten, aber ich hielt nicht an. Ich war draußen. Ich war frei.
Die kalte Luft stach auf meiner Haut, als ich in den Wald rannte, meine nackten Füße bluteten an Steinen und Ästen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich von ihnen weg, aber ich war auch obdachlos, allein und hungrig. Mein Magen knurrte vor Protest, der Hunger nagte schlimmer als je zuvor.
Ich stolperte zum See, das Mondlicht schimmerte silbern auf dem Wasser. Ich fiel auf die Knie am Ufer, mein Körper zitterte, meine Wangen nass von Tränen, die ich zu schlucken versuchte. Ich riss Gras aus, kaute es wie ein Tier, würgte an dem bitteren Geschmack, aber schluckte es trotzdem hinunter, weil ich nichts anderes hatte.
Früher hatte ich mich über das Essen von Resten beschwert, aber jetzt wären selbst die ein Himmelreich gewesen. Ich starrte auf die Wasseroberfläche, mein Spiegelbild war gebrochen und wild, und ich gab mir ein Versprechen. Ich würde nie zurückgehen.
Nicht in dieses Haus, nicht zu ihr, nicht zu ihnen. Lieber würde ich an Gras und Schlamm verhungern, als dass sie mich jemals wieder berühren.
