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Sie blickte auf den erschöpften Nico, der quer über das riesige Bett ausgestreckt lag und schnarchte wie ein Drache, der sein Feuer verloren hatte. Sein Hemd war halb offen, ein Schuh noch an, und sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.
Red seufzte, rieb ihre Hände an ihrem Kleid und flüsterte leise zu sich selbst: „Du weißt wirklich, wie man sie auswählt, Red.“
Ein weiteres Klopfen.
Langsam drehte sie sich um, ihre Augen auf die Tür gerichtet, als könnte sie explodieren. Mit einem tiefen Atemzug und all dem Mut, den sie aus ihrer Seele ziehen konnte, ging sie zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
Dort stand eine zierliche, rotblonde Frau mit Perlen und einem Outfit, das wahrscheinlich mehr gekostet hatte als Reds ganzes Leben. Sie sah aus wie jemandes teure Großmutter – mit einem Lächeln, das ihre scharfen Augen nicht ganz erreichte.
„Da bist du ja, Liebes!“ strahlte die Frau, ihre Stimme zuckersüß und erschreckend. „Du musst die Überraschung sein, die Nico besorgen wollte!“
Red blinzelte, verwirrt und wie erstarrt. „Entschuldigung?“
„Oh, sei nicht schüchtern“, sagte die Frau und trat näher, als würde ihr der Ort gehören. „Ich bin seine Großmutter.“
Seine was?
Red blinzelte. Ihr Gehirn hakte. Großmutter?
„Ich habe mir immer eine Schwiegertochter von meinem starrköpfigen Enkel gewünscht“, fügte sie mit einem warmen Lächeln hinzu und ging ohne Einladung direkt in den Raum.
Red trat instinktiv zurück und ließ sie passieren, denn – was hätte sie sonst tun können? Diese Frau hatte das Selbstbewusstsein von Königen und die Stimme von jemandem, der immer seinen Willen bekam.
„Ähm… ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor“, sagte Red nervös. „Ich bin nicht wirklich—“
„Unsinn“, unterbrach sie die Großmutter mit einer Handbewegung. „Du bist doch schon hier, oder? Und sieh ihn dir an – so friedlich in deiner Nähe. Ich habe Nico noch nie jemanden so nah heranlassen sehen.“
Red warf einen Blick auf Nico, der sich gerade im Bett umgedreht hatte und immer noch wie ein Baby-Nashorn schlief. Friedlich? Der Mann sah aus wie eine Leiche in Luxus.
„Und warum liegt er immer noch in diesem zerknitterten Zustand?“ Die Großmutter runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. „Willst du ihm nicht aus diesen Kleidern helfen?“
Red verschluckte sich fast. „Ich—ich kann doch nicht deinen Enkel ausziehen!“
„Liebes, du wirst seine Frau“, sagte die Großmutter mit einem neckischen Lächeln. „Du solltest dich daran gewöhnen. Und während du dabei bist, finde etwas Anständiges zum Anziehen für dich. Dieses Kleid schreit nach Nachtclub, nicht nach Bellami-Anwesen.“
Oh mein Gott.
Red stand da, wie erstarrt, ihr Gehirn schrie, ich hätte Marcelo meine Unschuld nehmen lassen sollen, anstatt in diesem Milliardärs-Horrorfilm zu enden.
Aber die Großmutter war bereits dabei, die Kissen aufzuschütteln und Nicos Nachtwäsche aus dem Schrank zu holen, als wäre dies ein ganz normaler Dienstag.
Red warf dem bewusstlosen Mann einen finsteren Blick zu. „Sie, mein Herr“, murmelte sie unter ihrem Atem, „sind das teuerste Desaster, das ich je getroffen habe.“
Und irgendwie war sie immer noch hier.
Gerade als Red sich umdrehte, um erneut zu erklären, dass dies alles ein großes Missverständnis war, rutschte ihre Handtasche – ihre arme, überfüllte Handtasche – von ihrer Schulter und fiel mit einem lauten Knall auf den Marmorboden.
„Nein, nein, nein—“ flüsterte sie und tauchte hinab, um sie aufzufangen.
Zu spät.
Heraus fielen ihre wichtigsten Dinge… und ihre tiefsten Bedauern. Lippenbalsam. Ladegerät. Kaugummi. Ein knallroter Spitzenstring.
Ihr String.
Red erstarrte, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, als das kleine Stück Stoff perfekt – spöttisch – in der Mitte des Raumes landete wie eine Trophäe.
„Oh!“ Großmutter schnappte nach Luft und legte die Hände über ihr Herz. „Ihr zwei schon…?“ Ihre Augen funkelten, als hätte sie gerade im Lotto gewonnen. „Meine Güte! Ihr habt es aber eilig gehabt! Kein Wunder, dass er so umgekippt ist.“
Reds Seele verließ ihren Körper.
„Nein! Nein-nein-nein, das ist nicht – er ist betrunken! Ich habe nur – er hat mich hierher geschleppt und ich habe ihm geholfen zu gehen!“
Großmutter hörte nicht zu. Sie strahlte so sehr, als wäre sie bereit, eine Babyparty zu planen.
„Ich habe es immer gesagt“, seufzte die alte Frau glücklich. „Es braucht eine mutige Frau, um einen Bellami zu zähmen. Und dass das auch noch an seiner Verlobungsnacht passiert… oh, du musst der Grund sein, warum er dieses Briel-Mädchen abgelehnt hat.“
Red wollte am liebsten unter das Bett kriechen und sterben.
Sie bückte sich, um alles wieder in ihre Tasche zu stopfen, und murmelte Flüche vor sich hin. Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie den Tanga zweimal fallen ließ.
„Das war’s“, grinste Großmutter stolz. „Du hast dein Revier markiert. Du bist die Richtige, das fühle ich. Ich kann es kaum erwarten, bis Nico aufwacht – er wird so glücklich sein, dass du geblieben bist.“
Red richtete sich auf, ihr Gesicht röter als ihr Name. „Ja. Super glücklich. Kann es kaum erwarten.“
Was zur Hölle ist das für ein romantisch-komödiantischer Albtraum?
Und das Schlimmste? Großmutter war schon auf dem Weg zur Tür und zwinkerte. „Ich lasse euch etwas Tee hochbringen. Ihr müsst müde sein.“
Dann war sie weg.
Red drehte sich langsam zu dem Mann um, der immer noch wie ein verwöhnter Gott auf dem Kingsize-Bett lag.
„Du. Hast. Mein. Leben. Ruiniert“, flüsterte sie.
Red lief immer noch wie eine Verrückte auf dem teuren Teppich hin und her, als ein leises Klopfen an der Tür ertönte.
Nicht schon wieder…
Sie schlich zur Tür, spähte durch den Türspalt und erwartete halb die Presse – oder schlimmer, Nicos wütende Verlobte mit einer Bratpfanne – aber es war nur ein Dienstmädchen. Jung, höflich aussehend und mit einem silbernen Tablett.
„Von Großmutter“, sagte das Dienstmädchen mit einem süßen Lächeln. „Sie meinte, das würde Ihnen helfen, sich zu entspannen.“
Red zögerte. „Tee?“
Das Dienstmädchen nickte. „Kamille mit einem Hauch von Lavendel. Ihr Lieblingsgetränk.“
Red starrte die dampfende Tasse an, als wäre es eine Falle – und das war es wahrscheinlich auch. Aber ihre Nerven lagen blank. Ihre Hände zitterten immer noch. Und ehrlich gesagt? Ihr Hals war trocken.
„Danke“, sagte sie und nahm sie vorsichtig entgegen, immer noch misstrauisch.
Das Dienstmädchen verneigte sich leicht, warf einen Blick auf Nico, der wie ein Löwe schnarchte, und sah Red dann an. Dieser Blick, der sagte also… du bist diejenige, die ihn endlich gekriegt hat, bevor sie sich zurückzog und die Tür hinter sich schloss.
Red seufzte und sank in den Stuhl neben dem Bett.
Der Tee roch wunderbar. Sie schnupperte noch einmal daran.
„Soll ich? Soll ich nicht? Trinke ich wirklich Tee im Zimmer eines Milliardärs, während seine Familie denkt, ich sei seine heimliche Frau?“
Sie schüttelte den Kopf, immer noch benommen.
„Ein Schluck“, murmelte sie und brachte die Tasse an ihre Lippen. „Nur einen.“
Die Wärme glitt wie ein Wiegenlied ihre Kehle hinunter. Und dann… begann die Welt zu verschwimmen. Ihre Glieder, ihre Augenlider… ihre Gedanken.
„Oh nein…“
Ihre Tasche rutschte wieder, aber sie bewegte sich nicht.
„Ich hätte diesem Mann nicht helfen sollen“, flüsterte sie schläfrig und kuschelte sich neben ihn auf das Bett.
Dann wurde alles schwarz.
