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(Scarletts Perspektive)
Ich habe mich noch nie so fremd gefühlt wie heute Abend. Neben mir stand Ryan, mein Zwillingsbruder, selbstbewusst und stolz, der Beta unseres Rudels. Er wirkte wie ein Berg, aufrecht und solide, während ich mich wie sein Schatten fühlte, gefangen in dieser Unvollständigkeit, ein Werwolf, der seine vollständige Verwandlung noch nicht erlebt hatte.
Ryan hatte seit Jahren einen Wolf, und seine Stärke schien mit ihm verschmolzen zu sein. Er war durchsetzungsfähig und autoritär, all die Eigenschaften, die ein Beta haben sollte. Und ich? Ich stecke immer noch in der Zwischenphase fest - weder ganz Mensch noch ganz Wolf. Ein Omega, der seinen Wolf noch nicht getroffen hatte.
Noch schmerzhafter war, dass meine andere Zwillingsschwester, Sienna, ihren Wolf bereits hatte. Das Einzige, was uns unterschied, abgesehen von ihrer auffälligen Stärke, war die Farbe unserer Augen. Meine sanften grünen Augen schienen neben ihren stechenden blauen zu verblassen. Sie war alles, was ich nicht war - stark, anmutig und bewundert. Und sie hatte ihren Wolf.
Mein Vater, der Alpha des Blackwood-Rudels, bestand darauf, dass ich zu dieser Party komme. "Es wird dir guttun", sagte er. "Hilft dir, dich besser einzufügen." Als ob diese Party mein Problem - das Gefühl, nie gut genug zu sein - auf magische Weise lösen könnte.
Ich zog meinen Hoodie enger, versuchte, mich in den Komfort seiner Schichten zu verbergen. Die Party wurde von Alexander Emerson, dem Alpha des Shadow-Rudels und Kapitän des Hockeyteams, veranstaltet. Jeder verehrte ihn - groß, gutaussehend und mächtig, mit einer Alpha-Aura, die ihm den Respekt aller sicherte. Er war auch Ryans bester Freund.
Ich konnte nie so sein. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich hier sein wollte. Aber Ryan, mit all seiner Überzeugungskraft, hatte mich mitgeschleppt und darauf bestanden, dass dies gut für mich wäre.
"Du musst mehr rausgehen", sagte er.
Sobald wir eintraten, traf mich die Musik wie eine Wand - die Bässe vibrierten in meiner Brust, und mein Herzschlag begann zu rasen. Der Raum war voller anderer Wölfe, alle lachten, tanzten und genossen ihr Leben mit Selbstbewusstsein. Ich wünschte, ich könnte so sein wie sie - frei und voller Selbstvertrauen. Aber alles, was ich fühlte, war eine brennende Angst, als ob alle mich mit verurteilenden Augen ansahen.
"Bleib hier, Petal", sagte Ryan und klopfte mir kurz auf die Schulter. "Ich hole die Getränke."
Mit Leichtigkeit verschwand er in der Menge, verschmolz mit der Party, als wäre er dafür geboren. Sienna, meine Schwester, warf mir nur einen flüchtigen Blick zu, bevor sie schwach lächelte.
"Ich möchte zuerst meine Freunde sehen", sagte sie, ihre Augen suchten sofort den Raum nach bekannten Gesichtern ab. Innerhalb von Sekunden war auch sie verschwunden und schritt leichtfüßig durch die Menge.
Und ich blieb, wie immer, allein.
Ich stand da, als wäre ich in einer bewegungslosen Zeit gefangen, umklammerte mich selbst, als könnte das mich vor den Blicken schützen, die ich zunehmend als urteilend empfand. Die Musik war zu laut, die Lichter zu grell. Ich muss Ryan finden und hier raus, bevor ich völlig außer Atem bin.
Der wahre Grund, warum ich zu dieser Party kommen wollte, war nur einer: Alexander. Bekannt dafür, kalt und unnachgiebig zu sein, behandelt er jeden mit Distanz. Doch wann immer er in meiner Nähe war, war etwas anders. Er lächelte mich an, bot mir Schokolade an und ließ mich besonders fühlen. Klein, ja, aber diese Momente ließen mein Herz immer höher schlagen.
Heute Abend war ich fest entschlossen, ihm zu sagen, was ich für ihn empfinde. Ich drängte mich durch die Menge, suchte ihn inmitten des Menschenmeeres, hoffte, dass ich endlich den Mut finden würde, ihm mein Herz zu offenbaren. Doch bevor ich ihn finden konnte, durchbohrte eine verächtliche, schnippische Stimme meine Ohren und schnitt durch den Rhythmus der Musik.
„Hey, schaut mal, wer hier ist!“ Die Stimme einer der Cheerleaderinnen, ihre Worte voller Hass.
Mein Körper versteifte sich sofort, Angst kroch in meinen Magen, als sie sich mit hochmütigen Schritten näherte, gefolgt von ihrer Horde, die wie eine Gruppe Hyänen war.
„Ist das nicht das kleine Omega, das sich noch nicht einmal verwandeln kann?“ höhnte sie.
Mein Gesicht fühlte sich heiß an vor brennender Scham.
„Ich-ich…“ versuchte ich zu antworten, aber meine Worte stockten, verschluckt von der Stille. Ich konnte nur etwas sagen, um die Situation zu retten.
„Was versteckst du hier drunter, hm? Angst, dass wir herausfinden, dass du noch keinen Wolf hast? Wie peinlich!“ Camilla, die Anführerin ihrer Gruppe, zog grob am Saum meines Hoodies, ihr Gesicht spöttisch.
Sie umringten mich, zerrten an meinen Kleidern und zogen an meinen Haaren, jede Berührung demütigend und schwächend. Ich versuchte, sie wegzustoßen, aber es waren zu viele. Ihr Lachen wurde lauter, als ob sie meinen Stolz in Stücke rissen.
„Hört auf!“ Endlich brachte ich einen Laut hervor, doch sie lachten nur noch lauter.
Plötzlich wurde ein Glas Saft über meinen Körper geschüttet, und ich war von der Kälte der Flüssigkeit, die in meine Kleidung sickerte, wie erstarrt.
„Ups! Meine Hand ist ausgerutscht!“ Sie kicherte, ihre Augen blitzten vor bösartiger Absicht.
„Sieht so aus, als hätten wir ihr einen Gefallen getan,“ fügte Camilla mit einem hinterhältigen Lächeln hinzu. „Vielleicht kann sie endlich diesen Omega-Geruch abwaschen.“
Ein harter Stoß ließ mich zu Boden stürzen, mit einem dumpfen Aufprall. Es fühlte sich an, als wäre ich in ekelhaftem Schlamm gefallen, und es würde für immer so bleiben. Ich konnte nicht herauskommen, konnte mich nicht vom Schmutz befreien. Ich fühlte, dass ich zur Demütigung gemacht war.
Es ist erbärmlich. Selbstmitleid, das bemitleidet werden muss.
„Du gehörst auf den Boden, kleines Omega. Da ist dein Platz!“
Gerade als ich dachte, es könnte nicht schlimmer werden, durchbrach ein tiefes, bedrohliches Knurren die Luft und ließ alle um mich herum erstarren. Ihr Lachen verschwand augenblicklich, ersetzt durch eine unheimliche Stille. Ich blickte auf, und da war er - Alexander Emerson, mein Retter, der über uns stand, sein Körper strahlte eine packende Wut aus.
„Geht zur Seite,“ befahl Alexander, seine Stimme heiser vor klarer Bedrohung. Seine Augen blitzten kalt vor Wut, als er näher an die Mädchen herantrat. „Wenn ihr es wagt, sie noch einmal zu berühren, werdet ihr es bereuen!“






























































































































































