Kapitel 3

Elena's Perspektive

Die Welt schien sich unter meinen Füßen zu neigen. "Richard ist hier?"

"Du kennst ihn?" Morgan sah überrascht aus.

"Ich—" Meine Stimme stockte. "Morgan, ich kann ihm nicht helfen. Ich muss gehen."

"Elena, bitte. Sein Zustand verschlechtert sich. Bis zum Einbruch der Nacht wird er die Kontrolle vollständig verlieren."

"Gut," fauchte ich und wich zurück. "Lass ihn leiden."

Morgan starrte mich an, schockiert von meiner Heftigkeit. "Was ist zwischen euch vorgefallen?"

"Vor sechs Jahren habe ich mit Hilfe meiner Freunde meinen Tod vorgetäuscht und bin mit zwei anderen Kindern vor ihm geflohen," sagte ich leidenschaftlich. "Er hat mich betrogen, indem er eine andere Frau zu mir brachte, während ich schwanger war."

Ich erzählte Morgan, was in jener Nacht passiert war, und ihr Gesichtsausdruck wurde zunehmend wütender, je mehr ich meine Geschichte ausschüttete.

"Mein Gott," keuchte Morgan. "Was für ein Mistkerl."

"Jetzt verstehst du, warum ich ihm nicht helfen werde." Ich lehnte mich gegen die Wand. "Ich habe ihn in jener Nacht verflucht... Ich hätte nie gedacht, dass es tatsächlich funktionieren würde."

"Er hat es sich selbst eingebrockt," sagte Morgan wütend.

Hinter uns kam ein leises Keuchen aus der Ecke. Morgan und ich drehten uns beide um und sahen eine Frau davonlaufen. Ein starker Parfümduft lag in der Luft.

"Wer war das?" zischte ich.

"Vermutlich seine Assistentin," sagte Morgan. "Sie hat vorhin etwas Essen gebracht."

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Irgendetwas an dieser Gestalt kam mir bekannt vor – gefährlich bekannt.

Victorias Perspektive

Ich umklammerte die Tüte mit dem Essen, mein Herz raste, als ich nach draußen rannte. Elena lebt? Unmöglich! Mein Geist wirbelte vor Schock und Berechnung.

Obwohl ich sie nicht gesehen hatte, konnte ich diese Stimme nicht verwechseln. Die Frau, die tot sein sollte.

Die Erinnerung an jene Nacht kehrte zurück.

Ich sah Richard im Flur vor dem Kreißsaal auf und ab gehen, jeder Schritt von unverhohlener Angst erfüllt. Der antiseptische Geruch des Krankenhauses reizte meine Nase, aber was ich mehr roch, war die Unruhe, die von ihm ausging.

"Beruhige dich, Richard. Die Ärzte tun alles, was sie können." Ich streckte die Hand aus, um seinen Arm zu berühren und Trost zu spenden. Das medizinische Personal eilte den Flur hinauf und hinunter, die angespannte Atmosphäre ließ mein Herz rasen, nicht aus Sorge, sondern aus Angst.

Ich hatte Angst, dass er sich wegen ihrer Kinder gegen mich entscheiden würde.

"Halt den Mund," schnauzte er mich an und riss seinen Arm weg.

Ich spürte einen Stich, seine Haltung mir gegenüber war nicht so sanft wie sonst. Selbst in diesem Moment hatte er nur Augen für Elena. Ich weitete meine Augen und täuschte Verletztheit vor.

"Ich wollte nur—"

"Ich sagte, halt den Mund!"

Seine Augen blitzten golden auf, ein Zeichen dafür, dass sein Wolf gleich zum Vorschein kommen würde. Ich konnte fühlen, wie die Luft um ihn herum vor unterdrückter Wut spannte.

Ich senkte sofort den Kopf, die instinktive Reaktion eines jeden Rudelmitglieds, das einem wütenden Alpha gegenüberstand. Aber unter meinem gesenkten Blick wirbelten meine Gedanken, voller Dinge, die ich nie laut auszusprechen wagte.

Stirb dort drin, Elena Winter. Stirb und lass mich deinen Platz als Luna des Nightfall-Rudels einnehmen. Richard wird dich vergessen, als hättest du nie existiert.

Meine Lippen krümmten sich fast zu einem Lächeln, aber ich beherrschte mich. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Ich musste mich wie eine besorgte Freundin verhalten.

Gerald und Riley gingen im Wartezimmer des Krankenhauses auf und ab, ihre Körper vor Angst angespannt. Riley saß steif auf ihrem Stuhl, ihre Hände so fest verschränkt, dass ihre Knöchel weiß wurden.

Als die Ärztin schließlich erschien, den Mundschutz heruntergezogen, mit ernstem Ausdruck, wussten sie es, noch bevor sie sprach.

"Es tut mir sehr leid," sagte sie leise. "Wir haben alles versucht, aber sie hat zu viel Blut verloren. Wir konnten sie nicht retten."

Riley stieß einen durchdringenden Schrei aus, der den Flur hinunter hallte.

„Die Kinder?“ fragte Gerald, seine Stimme klang hohl.

„Wir konnten nur ein Mädchen retten. Sie ist schwach und braucht ständige Überwachung. Die anderen...“ Die Ärztin schüttelte den Kopf.

Riley brach in den Armen ihres Mannes zusammen und verlor vor Kummer das Bewusstsein.

Seine Hände ballten sich so fest, dass die Knöchel knackten, sein Kiefer war angespannt, während er auf den Kreißsaal starrte.

In diesem Moment wusste ich – Elena war tot.

Ich sah ihn an, während ich bereits in meinem Kopf Pläne schmiedete. Elena war fort. Nur ein Junges blieb – ein kleines Mädchen, das ich als mein eigenes aufziehen konnte. Und Richard brauchte Trost, Unterstützung, eine neue Gefährtin.

Ich würde ihm Zeit zum Trauern geben. Ich würde aufmerksam, fürsorglich, unentbehrlich sein. Dann, wenn die Zeit reif war, würde ich die neue Luna des Nightfall-Rudels werden. Elena Winter würde bald der Vergangenheit angehören, und ich, Victoria, würde Richards Zukunft sein.

Rasch nähernde Schritte rissen mich aus meinen Gedanken.

Elena kam aus der Klinik und fuhr davon.

Als ich ihre Gestalt sah, konnte ich meine Wut kaum zügeln.

Seit sechs Jahren hatte Richard mir erlaubt, in sein Haus zu ziehen. Aber er hatte mich nie offiziell geheiratet. Ich kümmerte mich um dieses schweigsame, mürrische Kind für ihn... während diese Schlampe sich hier versteckte.

Warum konnte sie nicht einfach dort gestorben sein.

Meine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. Obwohl Elena noch lebte, war dies auch eine Gelegenheit, von der ich nicht zu träumen gewagt hatte. Richard musste niemals erfahren, dass seine tote Frau noch lebte.

Wenn sein Kind und Elena beide einen Unfall hätten, hätte er keine andere Wahl, als weiterzumachen. Mit mir. Wir würden unsere eigenen Kinder haben.

Ich richtete meine Bluse und nahm meine Miene an, bevor ich zu Richards Zimmer ging.

„Wo warst du?“ fragte er, seine Stimme war vor Müdigkeit gedämpft.

„Ich habe nur etwas Essen geholt, Liebling.“ antwortete ich sanft und stellte die Tasche auf den Tisch neben dem Bett. „Wie fühlst du dich?“

„Mein Wolf ist immer noch so unruhig wie eh und je,“ stöhnte er, bevor er das Thema wechselte. „Wie geht es Kathy heute? Gewöhnt sie sich an die neue Schule?“

Immer Kathy. Immer dieses Kind. Innerlich verdrehte ich die Augen, zeigte aber nach außen ein warmes Lächeln.

„Es geht ihr gut,“ log ich glatt. „Die Lehrerin sagt, sie sei sehr intelligent, aber etwas still.“

„Was hast du morgen vor?“ fragte er, offensichtlich mehr um seine Tochter besorgt als um seine eigene Gesundheit.

„Ich bringe sie zur Schule und komme dann zu dir.“ Ich setzte mich auf die Bettkante und holte eine Haarspange heraus. „Ich habe das für sie gekauft, es passt perfekt zu ihr.“

Richard nickte zustimmend, und ich kämpfte darum, meinen Ekel nicht zu zeigen. Seit sechs Jahren versuche ich, die Zuneigung dieses Kindes zu gewinnen, aber sie sieht mich immer mit diesen kalten Augen an, genau wie ihre verdammte Mutter.

„Ich möchte morgen Kathys Lehrerin treffen,“ sagte Richard plötzlich.

„Dein Zustand erlaubt das nicht—“

„Arrangiere es,“ unterbrach er, sein Ton duldete keinen Widerspruch.

Ich biss mir auf die Lippe und unterdrückte den Sarkasmus, der herausbrechen wollte. Warum konnte er sich nicht ganz auf mich konzentrieren? Warum war es immer dieses nervige Gör, das sein Herz besetzte? Wenn Elena das Kind nicht zur Welt gebracht hätte, wäre ich bereits die Luna des Nightfall-Rudels.

„Natürlich, Liebling.“ Ich lächelte und strich sanft über seinen Arm. „Ich werde alles arrangieren.“

Ich sah zu, wie er erschöpft die Augen schloss und kalkulierte innerlich meinen Plan. Jetzt, da ich wusste, dass Elena noch lebte ... vielleicht hatte ich endlich die Chance, dieses Problem endgültig zu lösen.

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