Kapitel 4

Elena's Perspektive

Meine Hände hörten nicht auf zu zittern. Ich umklammerte das Lenkrad so fest, dass meine Knöchel weiß wurden.

„Sechs Jahre“, flüsterte ich, dann schrie ich. „Sechs verdammte Jahre!“

Ich hatte weit genug von der Klinik entfernt geparkt, damit mich niemand zusammenbrechen sah. Die Tränen kamen heiß und schnell, verwandelten die Windschutzscheibe in ein wässriges Durcheinander, das meinen Emotionen entsprach.

„Wer zum Teufel glaubst du, dass du bist?“ zischte ich Richards Phantom an. „Du bringst diese Frau zu mir, während ich schwanger bin, und erwartest dann, dass ich dich sechs Jahre später rette?“

Ich atmete mehrmals tief durch und kämpfte darum, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

Als ich nach Hause kam, saß Max auf dem Sofa, seine Augen blinkten schläfrig in der Dunkelheit.

„Mama? Bist du das?“ flüsterte er.

Ich setzte mich neben ihn und strich ihm das Haar von der Stirn. „Ja, Schatz. Ich bin zu Hause.“

„Geht es dir gut?“ fragte er.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Es ist nichts. Geh wieder schlafen.“

Er hielt meine Hand fest. „Hast du nach Lily geschaut?“

Mein Herz schwoll an. Schon mit sechs Jahren war Max der kleine Beschützer. „Das werde ich jetzt tun. Du geh schnell ins Bett.“

Ich küsste seine Stirn und ging zu Lilys Zimmer. Als ich die Tür öffnete, sah ich sie zusammengerollt, ihr Kuscheltier fest an die Brust gedrückt. Ich zog die Decke fester um ihre Schultern.

Im Schlaf murmelte Lily: „Mama ist zu Hause.“

„Ja, mein Schatz. Mama ist zu Hause“, flüsterte ich, während ich ihr Haar streichelte.

Als ich die Tür schloss, kehrten meine Gedanken zu dem zurück, was Lily früher erwähnt hatte.

Es gab ein neues Mädchen in Lilys Klasse, das genauso aussah wie sie. Konnte es sein? Hatte Richard seine Tochter hierhergebracht?

Der Gedanke an meine Tochter—mein Erstgeborenes—so nah und doch unerreichbar, ließ meine Brust schmerzen. Sechs Jahre des Fragens, ob sie in Sicherheit war, ob sie geliebt wurde, ob sie sich überhaupt an mich erinnerte.

Ich musste sie sehen. Nur einmal.


Am nächsten Morgen, nachdem ich die Kinder im Kindergarten abgesetzt hatte, positionierte ich mich in der Nähe einer großen Eiche mit freiem Blick auf den Schuleingang. Eltern fuhren in einem stetigen Strom vor, um ihre Kinder abzusetzen. Ich scannte die Gesichter jedes Kindes, auf der Suche nach einem, das meiner Lily ähneln würde.

Dann sah ich sie.

Ein eleganter schwarzer Bentley fuhr vor, und eine Frau stieg aus—groß, perfekt gekleidet, mit fließendem braunem Haar. Es war Victoria. Mein Magen verkrampfte sich, als die Erinnerungen zurückfluteten. Ihr spöttisches Lächeln, als sie neben Richard stand.

Sie öffnete die hintere Tür, und ein kleines Mädchen stieg aus, das einen kleinen Rucksack umklammerte. Mein Atem stockte.

Meine Tochter sah nichts aus wie das glückliche, lebendige Kind, das ich mir vorgestellt hatte. Sie wirkte kalt und distanziert. Victoria sah sie kaum an, zeigte einfach auf den Schuleingang, bevor sie ihr Handy überprüfte.

„Geh schon, Kathy. Ich hole dich um drei ab.“ Nach diesen Worten stieg Victoria ins Auto und fuhr davon.

Ich sah zu, wie sie zur Schule ging, die Schultern nach vorne gebeugt. Sie wirkte verloren, unsicher, wohin sie gehen sollte.

Bevor ich zweimal nachdenken konnte, ging ich auf sie zu. „Hallo. Suchst du dein Klassenzimmer?“

Kathy schaute zu mir auf, und ich erstarrte. Sie sah Lily so ähnlich, mit Augen, die genau wie meine waren.

„Ich bin Frau Winter“, sagte ich und hielt meine Stimme trotz des Sturms in mir ruhig. „Ich bin Lehrerin an dieser Schule. Wie heißt du?“

„Kathy“, antwortete sie, ihre Stimme war so leise.

Mein Baby.

Ich wollte sie in meine Arme ziehen, ihr alles erzählen. Aber ich konnte nicht. Ich wusste nicht, wie sie reagieren würde, und ich wollte sie nicht verletzen, weil ich eine ungeeignete Mutter war.

„Nun, Kathy, lass mich dir dein Klassenzimmer zeigen“, sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen.

Zu meiner Überraschung nahm sie sie, ihre winzigen Finger umschlossen meine. Etwas flackerte über ihr Gesicht – Trost? Es war zu schnell verschwunden, um sicher zu sein.

Ich führte sie zu ihrem Klassenzimmer und kämpfte die ganze Zeit gegen die Tränen an.


Heute holte ich Max und Lily nicht selbst ab, sondern bat Morgan darum. Ich hatte Angst, dass Richard eines Tages meine anderen beiden Kinder entdecken könnte. Vielleicht sollte ich sie nehmen und diesen Ort verlassen. Aber da ich Kathy gerade erst gefunden hatte, wollte ich noch nicht gehen.

Der Bentley, der Kathy am Morgen abgesetzt hatte, erschien wieder am Eingang. Ich duckte mich um die Ecke, erwartete Victoria, aber es war Richard, der ausstieg.

Er war immer noch so gutaussehend, mit seiner großen Statur und diesen fesselnden Augen. Trotz des Hasses, den ich in mir trug, musste ich zugeben, dass er Charme hatte.

Kaum dass sein Erscheinen meine Aufmerksamkeit erregte, blickten seine Augen in meine Richtung. Ich drehte mich schnell um und rannte auf das Schulgebäude zu. Ich wusste nicht, ob er mich gesehen hatte, aber dieser Moment erinnerte mich an das Herzklopfen, als ich ihm das erste Mal begegnet war.

Ich floh in die Lehrerlounge.

Zwanzig Minuten später erschien der Direktor an der Tür, sichtlich aufgeregt.

„Elena, da ist jemand... jemand Wichtiges, der dich sprechen will“, sagte er dringend. „Er ist in meinem Büro.“

„Wer?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits wusste. Er hatte mich schließlich gefunden.

„Richard Blackwood. Er verlangt ausdrücklich nach dir.“

Mein Magen zog sich zusammen.

Ich atmete tief durch. Dieser Moment war unvermeidlich. Ich hatte nur auf mehr Zeit gehofft.

„In Ordnung“, sagte ich. „Ich komme.“

Richards Perspektive

Ich drehte den Ausweis in meinen Händen und starrte auf den Namen und das Foto, das mein Herz zum Stillstand gebracht hatte.

Die Frau, die ich am Eingang gesehen hatte, war definitiv sie. Ich dachte, ich halluziniere. Sie sollte im Kreißsaal gestorben sein – das hatte der Arzt verkündet. Aber jetzt scheint es, dass der Arzt und Elena sich die ganze Zeit gekannt hatten.

Meine Finger umklammerten das Holzabzeichen, das Material begann unter meinem Griff zu splittern.

„Herr Blackwood, Frau Winter wird in Kürze hier sein“, sagte der Direktor nervös.

Ich antwortete nicht. Mein Geist raste durch Möglichkeiten, jede wütender als die letzte. Wenn Elena lebte – wenn sie diese sechs Jahre gelebt hatte – dann war alles, was ich geglaubt hatte, eine Lüge.

Die Trauer. Die Wut. Die Leere. Alles basierte auf Täuschung.

Mein Wolf kratzte an meinem Inneren, verlangte nach Befreiung. Ich konzentrierte mich auf mein Atmen, darauf, die Kontrolle zu behalten. Ich konnte mich hier nicht verwandeln, umgeben von Menschen. Aber Gott helfe Elena, wenn sie durch diese Tür trat.

Ein leises Klopfen unterbrach meine Gedanken.

„Direktor Morris? Ich bin es, Elena.“

Ich zerdrückte das Holzabzeichen in meiner Faust.

Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel