Kapitel 7

SELENE

Ein einziger, langsamer, wohlüberlegter Schritt nach vorn war alles, was es brauchte. Die Luft veränderte sich, wurde schwer von etwas Bedrückendem, etwas Gefährlichem.

Die Vampire erstarrten, ihr überhebliches Grinsen zerfiel zu kaum verhohlener Panik. Einer von ihnen schluckte schwer, sein Blick huschte zu seinen Gefährten, als suche er nach einem Ausweg, den es nicht gab.

Darius sagte zunächst nichts. Das musste er auch nicht. Allein seine Anwesenheit war ein Todesurteil.

Dann, mit einer Stimme, so geschmeidig wie Seide und doppelt so tödlich, sprach er endlich.

„Meine Herren.“

Das einzige Wort schlängelte sich wie eine gezückte Klinge durch die Gasse und ließ die Vampire zusammenzucken.

„Ich glaube, Sie haben etwas, das mir gehört“, fuhr er in täuschend ruhigem Ton fort. „Lassen. Sie. Sie. Los.“

Der Anführer stieß ein nervöses Lachen aus und hob die Hände in gespielter Ergebung.

„Prinz Darius!“ Die Stimme des Vampirs brach, als er über seine Worte stolperte.

„W-wir haben das Mädchen gefunden! Sie – sie ist entkommen, aber wir haben sie wieder eingefangen! Wir wollten ihr nur … nur eine kleine Lektion erteilen, weil sie vor Euch weggelaufen ist, Eure Hoheit!“ Er schluckte schwer und sah seinen Gefährten hilfesuchend an.

„Aber wir – wir wollten sie gerade zu Euch zurückbringen. Ich schwöre es!“ Seine Stimme zitterte, während sein Blick zu der Leiche huschte, die zu Darius’ Füßen noch zu Asche schwelte.

Er machte einen zittrigen Schritt zurück, doch Darius schwieg, sein Blick auf ihn geheftet wie der eines Raubtiers, das abwägt, ob die Beute die Mühe wert ist.

Der Vampir schluckte erneut. „O-oder?“, würgte er hervor und wandte sich verzweifelt an seinen Gefährten.

„O-oder“, wiederholte der andere schwach, obwohl seine weit aufgerissenen, angsterfüllten Augen etwas anderes sagten.

Doch keiner von beiden klang überzeugt. Denn egal, welche Ausrede sie hervorbrachten, Darius’ Schweigen sagte ihnen eines.

Sie waren bereits tot.

Darius neigte den Kopf leicht, sein durchdringender Blick musterte die zitternden Vampire, als wären sie nichts weiter als Insekten, die darauf warteten, zerquetscht zu werden. Die Stille dehnte sich aus, dick und erstickend vor Spannung.

Der Anführer der Gruppe bewegte sich unruhig und leckte sich über die Lippen.

„Wir – wir haben sie nicht angefasst“, stammelte er, seine Stimme ein zittriger Versuch, beruhigend zu klingen.

„Wir wollten nur –“

Darius bewegte sich.

Er stürzte sich nicht auf sie. Er rannte nicht. Er machte einfach nur einen weiteren Schritt nach vorn. Und doch reichte es aus, um die Vampire zurückstolpern zu lassen, während ihre Instinkte ihnen zuschrien, zu fliehen.

„Habe ich gefragt, was ihr getan habt?“, murmelte Darius, seine Stimme kalt und geschmeidig wie eine Klinge, die zwischen die Rippen gleitet.

Der Anführer schüttelte den Kopf so heftig, dass ihm beinahe die Kapuze vom Kopf fiel.

„Nein, Eure Hoheit! Wir schwören – wir hätten keine Hand an sie gelegt! Wir – wir haben sie nur für Euch hier festgehalten!“

Darius sprach nicht. Er sah sie nur an.

Die Stille dehnte sich aus, dick und erstickend.

Ich dachte, Darius würde auf der Stelle zuschlagen, dass er sie mit einer einzigen brutalen Bewegung niederstrecken würde. Aber stattdessen tat er etwas Schlimmeres.

Er richtete seinen Blick auf mich.

Die Wucht seines Blicks raubte mir beinahe den Atem. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich, aber in seinen Augen lag etwas Dunkles – etwas Wütendes und Besitzergreifendes. Sein Blick glitt über mich, nahm mein Aussehen wahr, die Art, wie meine Hände immer noch zu Fäusten geballt waren, und wie mein Atem zitternd über meine Lippen strich.

Sein Ausdruck wurde schärfer.

„Komm her“, befahl er.

Mein Puls geriet ins Stocken.

Ich wollte ihm nicht gehorchen. Jeder Instinkt in meinem Körper schrie dagegen an. Aber seine Stimme – sie ließ keinen Raum für Zögern. Keinen Raum für Widerspruch.

Also bewegte ich mich.

Ein Schritt.

Dann noch einer.

Der Anführer der Vampire zuckte zusammen, als wollte er mich aufhalten, aber Darius sah ihn nur an.

Der Vampir erstarrte, sein Mund klappte zu.

Ich erreichte Darius’ Seite, und bevor ich reagieren konnte, legte sich sein Arm um mich. Fest. Unnachgiebig. Ein stiller Anspruch.

Die Luft wurde eisig.

„Ihr hattet also euren Spaß?“, fragte Darius, seine Stimme leise. Beinahe ruhig.

Aber unter der Oberfläche lauerte etwas – etwas so Tödliches, dass sich mein Magen zusammenzog.

Der Anführer öffnete den Mund, vielleicht um zu protestieren, vielleicht um zu betteln. Ich würde es nie erfahren.

„Und jetzt bin ich an der Reihe!“

Darius bewegte sich.

Schneller, als mein Verstand es begreifen konnte, hatte er seine Hand um den Hals des Vampirs geschlungen.

Das widerliche Knacken von Knochen hallte durch die Gasse, als Darius ihn mühelos vom Boden hob.

Die anderen beiden rannten.

Kein einziges Wort. Kein Versuch zu kämpfen.

Sie rannten einfach.

Feiglinge.

Darius würdigte sie keines Blickes. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Vampir, der in seinem Griff zappelte, sich wand und nach der Hand krallte, die ihm die Kehle zerquetschte.

„Ich habe dir gesagt, du sollst nicht anrühren, was mir gehört“, murmelte Darius, seine Stimme wie ein Messer, das durch die Stille schnitt.

Der Vampir stieß ein ersticktes Keuchen aus.

„Gnade – bitte –“

Darius’ Lippen verzogen sich.

„Nein.“

Und dann, mit einer einzigen, schnellen Drehung, erschlaffte der Vampir.

Darius ließ ihn los, und der Leichnam fiel zu Boden wie eine zerbrochene Puppe.

Dann, als fürchte das Universum selbst Darius’ Zorn, entzündete sich der Körper – Glut loderte auf, die Haut kräuselte sich zu Staub, bis nichts als Asche übrig war.

Einen Moment lang verharrte ich an der Ecke der Gasse, mein Atem ging stoßweise, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen.

Dann rannte ich.

Ich schoss auf die Hauptstraße zu, auf das Versprechen von Sicherheit, das in der kleinen Menschenmenge vor mir verborgen lag. Hinter mir erfüllte das widerliche Knistern von Feuer die Luft, gefolgt von einem hohen, gequälten Schrei. Das Geräusch eines Körpers, der zu Asche verbrannte.

Ich blickte nicht zurück.

Ich wusste nicht, wo ich war oder was zum Teufel hier geschah, aber eines war klar – ich musste hier weg.

Die Straße war jetzt so nah, nur noch ein paar Schritte –

Dann stürzte etwas Massives vom Himmel.

Die Wucht der Landung ließ Risse wie Spinnweben über den Bürgersteig laufen, ein Luftstoß fegte an mir vorbei. Ich kam quietschend zum Stehen, als sich die kolossale Gestalt aus einer knienden Position erhob und sich entfaltete wie ein fleischgewordener Albtraum.

Seine Augen brannten wie geschmolzene Rubine und glühten im schummrigen Morgenlicht mit einem unnatürlichen Schein. Die Schatten klammerten sich an ihn, als hätten sie Angst loszulassen, wanden sich um seine breiten Schultern und sickerten aus den Falten seiner dunklen Kleidung.

Darius.

Ich sog scharf die Luft ein, mein ganzer Körper zitterte.

Darius starrte mich an, sein Gesichtsausdruck war unleserlich, obwohl etwas in der Tiefe dieser glühenden Augen aufblitzte – etwas zwischen Unglauben und Belustigung. Langsam, beinahe träge, streckte er die Hand aus, seine Finger strichen über meine Haut, als er eine lose Haarsträhne hinter mein Ohr klemmte. Die Geste war trügerisch sanft, ein krasser Gegensatz zu dem anhaltenden Geruch von Blut und Asche, der schwer in der Luft lag.

Seine Lippen teilten sich, und als er sprach, war seine Stimme leise, doch von etwas Dunklem durchzogen.

„Du rennst schon wieder weg?“

Keine Frage. Eine Feststellung. Eine Beobachtung, erfüllt von der Art Ungläubigkeit, die nahelegte, dass er meinen Trotz entweder für vollkommen töricht oder für absurd unterhaltsam hielt.

Als wäre die bloße Vorstellung, dass ich ihm entkommen könnte, lächerlich.

Ich schluckte, meine Kehle war vom Schreien rau.

„Natürlich bin ich gerannt“, schoss ich zurück und hob das Kinn.

„Was hast du erwartet? Dass ich einfach dasitze und mich zum All-you-can-drink-Buffet machen lasse?“ Ich stieß ein scharfes, humorloses Lachen aus.

„Ja, nein danke.“

Seine Lippen zuckten – beinahe amüsiert –, doch seine Augen blieben kalt, abschätzend.

„Und, wie ist das für dich gelaufen?“, fragte er gedehnt und warf einen Blick auf die Asche, die in der Gasse verstreut war.

„Lass mich raten – du dachtest, vor Vampiren wegzulaufen, wäre ein solider Plan?“

Ich ballte die Fäuste und weigerte mich, die Tatsache anzuerkennen, dass er recht hatte. Ich war verletzt, erschöpft und dem Tod in einer Gasse wie ein namenloses Opfer verdammt nahegekommen. Aber das würde ich vor ihm nicht zugeben.

Seine Hand sank, doch sein Blick wich nicht von mir.

„Gehen wir.“

Keine Frage. Kein Mitgefühl. Keine Wahl.

Ich erstarrte, jeder Muskel in meinem Körper schrie mich an, zu kämpfen, wieder zu rennen, irgendetwas.

Ich hatte kaum Zeit, Luft zu holen, bevor Darius mich packte und über seine Schulter warf, als würde ich nichts wiegen. Ein erschrockener Schrei entrang sich meiner Kehle, aber er zögerte nicht einmal.

„Was zum … Lass mich runter, du untotes Arschloch!“, schrie ich und hämmerte mit den Fäusten gegen seinen Rücken.

Er lachte nur – lachte tatsächlich – und raste los, seine unmenschliche Geschwindigkeit ließ die Welt zu einem verschwommenen Schleier werden.

Die Gasse verschwand augenblicklich, und dann, mit einem einzigen kraftvollen Sprung, schwebten wir durch die Luft. Mein Magen machte einen Satz, als der Boden unter uns verschwand und der Wind durch meine Haare peitschte.

Wir landeten mit einem lauten Krachen auf einem Dach, aber er hielt nicht an. Er rannte, schnell und geschmeidig, flitzte wie ein Phantom über die Dächer, während sich die Stadt unter uns in einem schwindelerregenden Rausch aus Lichtern und Schatten ausbreitete.

„Lass mich runter!“, kreischte ich und wand mich in seinem eisernen Griff.

„Lass mich runter, du blutsaugender Idiot! Wo zum Teufel bringst du mich hin?!“

Er wurde nicht einmal langsamer.

„Nach Hause“, sagte er schlicht. Seine Stimme war ruhig, endgültig.

Ich erstarrte.

Dann fügte er leise und besitzergreifend hinzu:

„Du gehörst jetzt mir.“

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