Kapitel 6 Mitternachtsangst
Lily schrieb: „Ich will Geld und ich will Menschen.“
Daniel seufzte erleichtert. „Abgemacht.“
Lily begann ihre ruhige Genesung, ohne zu ahnen, dass jede Nacht ihre Zimmertür im Krankenhaus leise geöffnet wurde.
Es war David.
Lily lag im Bett, die Stirn gerunzelt, die Stirn feucht vom Schweiß, und sie stöhnte vor Schmerzen.
Ein weiterer Albtraum.
David schlich an ihr Bett und strich ihr sanft mit seiner guten linken Hand über die Stirn. In dem Moment, als seine warme Handfläche sie berührte, beruhigte sich Lilys Atmung merklich.
Er legte sich vorsichtig auf die andere Seite des Bettes, hielt jedoch einen respektvollen Abstand. Doch es dauerte nicht lange, bis die schlafende Lily, wie ein kleines Tier, das Wärme sucht, sich an ihn schmiegte, ihren Kopf auf seiner Brust ruhend, eine Hand unbewusst an seinem Hemd festhaltend.
David erstarrte.
Der schwache Duft ihrer Medikamente vermischte sich mit ihrem natürlichen Geruch und füllte seine Nase. Ihr weicher Körper drückte sich gegen ihn, ihr Atem kitzelte sein Schlüsselbein. Zu allem Überfluss war ihr Bein über seine Hüfte gelegt...
„Verdammt...“ David biss die Zähne zusammen und versuchte, die Reaktion seines Körpers zu kontrollieren.
Seltsamerweise fühlte er sich normalerweise unwohl, sogar übel, wenn ihn Fremde berührten. Aber bei Lily empfand er ein unerklärliches Gefühl der Sicherheit.
Sie schlief fest in seinen Armen, nicht mehr von Albträumen geplagt. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er inneren Frieden. Er hatte schon lange nicht mehr so gut geschlafen...
Um sechs Uhr morgens wachte Lily auf und fand sich in einer merkwürdigen Position wieder – ihr Kissen auf dem Boden, und sie ruhte auf... Luft? Und ihre Decke war ordentlich zugedeckt, als hätte sie jemand zugedeckt.
„Seltsam, ich habe letzte Nacht so gut geschlafen, kein einziger Albtraum“, dachte sie sich.
Als Daniel mit dem Frühstück hereinkam, bemerkte er einen schwachen Duft von Kölnischwasser auf den Laken. Er verstand sofort und stürmte, ohne sich um Lily zu kümmern, zum Notausgang. „David! Du Bastard!“
Im Aufzug richtete David seine zerknitterten Kleider.
„Ich habe dich unzählige Male gewarnt! Hör auf, impulsiv zu handeln! Sie erholt sich noch!“ schimpfte Daniel.
„Ich habe nichts getan“, antwortete David ruhig.
„Nichts getan? Wie erklärst du dann den Duft im Bett? Und den Sabberfleck auf deinem Hemd!“
David blickte hinunter und sah einen kleinen nassen Fleck auf seinem Hemd. Er erinnerte sich daran, wie Lily manchmal im Schlaf sabberte, und konnte nicht anders, als leicht zu lächeln.
„Sie hatte einen Albtraum. Ich habe sie nur... getröstet.“
„Getröstet! Glaubst du, ich weiß nicht, was du denkst? Beim letzten Mal warst du unter Drogen, das war verständlich. Aber jetzt bist du bei vollem Bewusstsein und machst das immer noch absichtlich!“
David schwieg. Daniel hatte recht. Wenn er sie hielt, fühlte er eine Reaktion. Jedes Mal, wenn er ihren weichen Körper gegen sich spürte, ihren Duft roch, stieg dieses urtümliche Verlangen auf.
Aber er unterdrückte es.
Das erste Mal war ein unbeabsichtigter Fehler. Er konnte es nicht noch einmal zulassen.
„Sie braucht ein Gefühl der Sicherheit“, sagte David schließlich.
„Das kann sie auch von einem Therapeuten bekommen! Nicht von dir!“ schäumte Daniel vor Wut.
David ignorierte Daniels Schimpftiraden und ging direkt zum Aufzug. Aber Daniels Worte ließen ihn sich ein wenig schuldig fühlen – vielleicht sollte er wirklich damit aufhören.
Doch als die Nacht hereinbrach, konnte er seine Beine nicht davon abhalten, ihn zu Lilys Zimmer zu führen.
Vor der Tür beobachtete Daniel eine Weile. Als er sah, dass David nichts Unangemessenes tat, ließ er es gut sein. Davids Schlaflosigkeit war ein altes Problem, das ihn an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte.
Vor fünf Jahren hatte er das Glück, einen Arzt zu treffen, der seine Schlaflosigkeit heilte. Der Arzt hatte ihm Kontaktinformationen und die Formel für das Medikament hinterlassen, aber während einer Krise in der Familie Jones war dieses Stück Papier gestohlen worden.
David hatte fünf Jahre lang mit den verbleibenden Medikamenten überlebt.
Vor kurzem ging ihm die Medizin aus, und seine Schlaflosigkeit kehrte zurück.
Aber er konnte weder den Arzt noch die Formel finden.
David hatte seit langer Zeit keine gute Nacht mehr geschlafen.
Wenn es bedeutete, dass er und Lily gut schlafen konnten, wenn sie zusammen waren, welchen Grund hatte er dann, damit aufzuhören?
Die Zeit verging wie im Flug, und es war Lilys sechste Nacht im Krankenhaus. Der Riss in ihrer Vaginalwand tat nicht mehr weh, und die Wirkung der Medikamente ließ fast nach.
Obwohl sie sich schnell erholte, brauchte sie noch mindestens eine Woche Ruhe für eine vollständige Genesung.
Aber Lily hatte keine Woche.
Sie hatte den Kalender an ihrem Bett auf den morgigen Tag zerrissen – den 15. Juli, den Tag, an dem Eric offiziell den Vorsitz der Horizon Innovations Group übernehmen würde. Sie konnte nicht zulassen, dass dieser Bastard Erfolg hatte!
„Dr. Wilson. Ich muss entlassen werden“, Lilys Stimme war immer noch heiser, aber sie konnte normal sprechen.
„Sind Sie verrückt? Es ist mitten in der Nacht, und Ihr Körper ist noch...“
„Heute Nacht brauche ich die Hilfe dieses Mannes.“
Daniel verstand. Er seufzte und machte einen Anruf. „David, dein Gläubiger ist hier, um zu kassieren.“
Um Mitternacht war Erics Villa auf dem Berggipfel in unheimliche Stille gehüllt.
Im Wohnzimmer massierte Haven seine Schultern. „Eric, morgen wirst du offiziell der Vorsitzende der Horizon Innovations Group!“
Eric hielt sie fester. „Ja. Die Horizon Innovations Group wird mir gehören, und der Tod dieser Schlampe war es wert.“
Plötzlich gingen alle Lichter in der Villa aus!
„Stromausfall?“ schrie Haven und klammerte sich an Eric.
Erics Telefonbildschirm leuchtete plötzlich auf und zeigte die Schlagzeile: #LilyStürztInDenTod#. Aber das Foto begann sich zu verändern – die einst zerschmetterte Leiche öffnete die Augen und starrte direkt in die Kamera!
„Was... was ist das?“ Eric versuchte, sein Telefon auszuschalten, aber der Bildschirm war eingefroren. Das Foto von Lilys Gesicht verzerrte sich zu einem unheilvollen Lächeln, Blut strömte aus ihren Augen. „Siehst du mich?“
Boom!
Ein Blitz erhellte eine weiße Gestalt vor dem bodentiefen Fenster!
Eric näherte sich vorsichtig dem Fenster und sah draußen niemanden. Kaum hatte er erleichtert aufgeatmet, hörte er unheimliche Schritte hinter sich...
Er drehte sich um, aber das Wohnzimmer war leer. Haven war verschwunden!
„Haven? Wo bist du?“
Die einzige Antwort war das Weinen einer Frau von der Decke, ein so gespenstisches Wimmern, dass es wie ein Geist klang. Dann begann eine rote Flüssigkeit von der Decke zu tropfen und sammelte sich auf den weißen Fliesen darunter.
„Nein... sie kann nicht... sie ist tot...“ Eric zitterte und wich zurück, rutschte jedoch auf dem klebrigen Blut aus und fiel.
Im Blut erschien eine Nachricht: „Warum hast du mich getötet?“
„Ich habe dich nicht getötet! Du bist gesprungen!“ schrie Eric in die Leere.
Das Blut formte langsam neue Worte: „Lügner... haben ihre Zungen herausgerissen...“
Eric kroch verzweifelt die Treppe hinauf und versuchte, in sein Schlafzimmer zu fliehen. Auf halbem Weg hörte er ein schleifendes Geräusch von oben, als ob etwas langsam hinunterkäme.
Mondlicht durch das Oberlicht enthüllte eine Frau in einem weißen Kleid mit zerzausten Haaren! Ihr Hals war in einem grotesken Winkel verdreht, die Glieder nach hinten gebogen, genau wie bei ihrem Sturz von der Klippe!
„Lily... ich habe einen Fehler gemacht... ich habe wirklich einen Fehler gemacht...“ Eric kniete im Blut und flehte um Gnade.
„Lily“ schwebte auf ihn zu, ihre verwesten Finger streichelten seine Wange. „Mir ist so kalt... das Wasser ist so tief... ich habe so lange nach dir gesucht...“
„Ich werde einen Priester bitten, eine Messe für dich zu halten! Ich werde für dich in der Kirche beten! Ich werde für wohltätige Zwecke spenden! Bitte, finde Frieden! Komm nicht zu mir!“ Eric war fast wahnsinnig vor Angst.
„Lily“ lachte plötzlich, ein scharfes Geräusch wie Nägel auf einer Tafel. „Beten? Ich will Blut für Blut! Und, dein Leben!“
Ihre Hand legte sich plötzlich um Erics Kehle, kalt wie Eisen. „Zuerst deins, dann Havens, und schließlich Zanes und Celestes...“
