Kapitel 3
Warum konnte ich spüren, dass mich jemand beobachtete, obwohl ich keine offensichtlichen Blicke sah? Niemandes Aura stach hervor. Ich spürte keine Bosheit, doch irgendetwas stimmte nicht. Ich durchsuchte den Zug, suchte nach... irgendetwas.
Meine Handflächen begannen zu schwitzen. Ich entschied, dass ich an der nächsten Haltestelle aussteigen würde, auch wenn es nicht meine war. Ich könnte meine Einkäufe dort erledigen.
Als der Zug langsamer wurde, schlüpfte ich durch die Türen und auf den Bahnsteig, ohne zurückzublicken. Die Menge verschlang mich, und zum ersten Mal an diesem Tag konnte ich atmen. Niemand folgte mir.
Zuerst die Lebensmittel, Jinx' Lieblingssnacks, Mahlzeiten für eine Woche, die ich wahrscheinlich nach den späten Schichten zu müde wäre zu kochen. Dann ein letzter Besorgungsstopp, bevor es nach Hause ging: der Buchladen.
Das Schild über der Tür lautete Ingrid's Magischer Buchladen. Irgendetwas daran zog mich hinein.
Drinnen umfing mich der Duft von Papier und Kerzenwachs. Dunkle Holzregale ragten hoch empor, und Stühle mit abgenutztem Stoff standen in kleinen Leseecken. Gemütlich war gar kein Ausdruck.
Ich fragte mich, warum ich diesen Ort nie zuvor bemerkt hatte. Meine Finger glitten über die Buchrücken, bis ein Titel mein Auge einfing. Tränke und Zauber. Ich murmelte ihn leise, halb amüsiert.
Ein Laden für Hexen?
Bevor ich das Buch zurückstellen konnte, spürte ich jemanden hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich eine große Frau mit einer wilden Krone aus rotem Haar. Ihre Aura leuchtete hell und unberechenbar, Funken sprühten, die das Chaos über ihrem Kopf widerspiegelten.
„Ich habe dich hier noch nie gesehen“, sagte sie und musterte mich, als könnte sie jeden Gedanken lesen. „Ich bin Ingrid, die Besitzerin.“
„Das ist mein erstes Mal hier“, sagte ich. „Ich bin zufällig darauf gestoßen.“
Sie legte den Kopf schief, ihre Augen verengten sich leicht. Dann, ohne Vorwarnung, hakte sie ihren Arm in meinen. „Wie heißt du?“
„Velvet“, antwortete ich zögernd.
Ihr Blick verharrte auf meinem. „Aus welchem Reich stammst du, Velvet?“
Reich?
„Äh... Erde?“
Sie antwortete nicht, sondern zog mich tiefer in den Laden. Der Abschnitt, zu dem sie mich führte, war der älteste im Geschäft, gesäumt von Büchern mit rissigen Rücken und weichen Seiten, die von tausend Lesungen erzählten. Sie murmelte vor sich hin, während sie die Regale durchsuchte, und zog schließlich eines heraus.
„Hier“, sagte sie und drückte es mir in die Arme. „Bring es zurück, wenn du fertig bist.“ Und bevor ich antworten konnte, war sie verschwunden.
Der Titel lautete Eine Geschichte der Seher.
Zu Hause siegte die Neugierde über mich. Ich öffnete das Buch und las über Wesen, die von den Göttern geschaffen wurden, um ihren Willen zu interpretieren – Seher, die wahrnehmen konnten, was andere nicht konnten, die die Auren der Menschen um sie herum fühlen und sehen konnten.
Mein Magen verkrampfte sich.
Ich schlug das Buch zu.
Ich hatte nie jemandem erzählt, was ich konnte. Es war schon seltsam genug, sich sein ganzes Leben lang anders zu fühlen – jemandem zu sagen, dass ich seine Aura sehen konnte, wäre ein direkter Weg in eine gepolsterte Zelle.
Ich hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Die Arbeit wartete.
Als ich in die Bar kam, war Jessica schon dabei, alles aufzubauen.
„Hey, Jess!“ rief ich.
„Hi, Velvet!“ antwortete sie mit ihrem üblichen strahlenden Lächeln. Jessica war zwar nicht gerade eine enge Freundin, aber sie war das, was am nächsten daran kam.
„Du bekommst immer die besten Trinkgelder“, neckte sie.
Ich lächelte nur. Sie wusste nicht, dass ich manchmal mein Geschenk nutzte, um die besten Kunden auszuwählen.
Die Nacht verlief in ihrem gewohnten Rhythmus: Getränke, Geplauder, das Klirren von Gläsern. Als wir schlossen, bot Jessica mir eine Mitfahrgelegenheit an, aber ich winkte ab. Ich brauchte den Spaziergang.
Der Nebel rollte dichter als gewöhnlich herein, umschlang meine Knöchel und klammerte sich wie feuchte Finger fest. Ein seltsamer Schauer durchlief mich.
Da sah ich ihn.
Er trat aus einem Schatten zwischen zwei Backsteingebäuden. Seine Aura war pure Dunkelheit, erstickend und schwer, und seine Absicht war unverkennbar.
Ich erstarrte. Die Straße war leer. Der Nebel dämpfte jedes Geräusch.
Er bewegte sich auf mich zu.
Ich drehte mich um und rannte, seine Schritte hallten im Einklang mit meinem Herzschlag hinter mir. Meine Absätze bremsten mich, also warf ich sie ab, das kalte Pflaster biss in meine nackten Füße.
Ich schrie um Hilfe, aber der Nebel verschluckte den Klang.
Und dann hörte ich es, seine Stimme, tief und kalt, die in meinem Schädel widerhallte.
Niemand kann dich retten, Mädchen.
























































