Kapitel 4
SERAPHINA
Die prunkvolle Kutsche holperte über jede Spurrille des Waldweges, und jeder Stoß schickte neue Wellen des Leids durch mein bereits verwundetes Herz. Meine bernsteinfarbenen Augen brannten von ungeweinten Tränen, die wie Mondlicht durch Sturmwolken zu fließen drohten. Ich presste die Lippen aufeinander und zwang den Schrei der Trauer hinunter, der an meiner Kehle kratzte.
Das vertraute Territorium unseres Blutmondrudels verblasste hinter uns und wurde vom schattenhaften Reich des Nachtschattenhofs abgelöst. Uralte Eichen krümmten sich über uns wie knorrige Finger, ihr dichtes Blätterdach raubte die Wärme der Sonne – nur der Mond blieb als Zeuge meiner Qualen zurück. Die einzige andere Seele, die dieses vergoldete Gefängnis mit mir teilte, war der dunkle Fae-Prinz, der mir gegenübersaß.
Prinz Lysander Schattensumpf.
Der ätherische Mann lümmelte sich auf den Samtkissen, sein überirdischer, violetter Blick auf die verschwommene Landschaft gerichtet, die an unserem Fenster vorbeiraste. Nur der rhythmische Takt der Hufe auf der Erde durchbrach unsere erstickende Stille, während wir zu seinem mitternächtlichen Palast reisten.
Meine Gedanken drifteten zurück zu der Konfrontation mit meinen Eltern, die Erinnerung stieg auf wie Rauch aus sterbender Glut.
„Vater, du kannst doch nicht ernsthaft wollen, dass ich mich an diese Verbindung binde“, hatte ich gefleht, als ich vor König Fenris und Königin Celeste in ihren mondbeschienenen Gemächern stand. Meine Stimme war vor Verzweiflung gebrochen. „Du kannst unmöglich von mir erwarten, dass ich mich … mit diesem Fae-Prinzen paare.“
Die smaragdgrünen Augen meines Vaters waren getrübt von der Last unmöglicher Entscheidungen. „Welcher andere Weg bleibt uns denn, mein Mondkind?“ Seine mächtige Gestalt hatte vor kaum unterdrückter Wut gezittert, die silbernen Brauen zogen sich zusammen wie Gewitterwolken. „Das Gefährtenband hat euch beide für sich beansprucht!“
Ich hatte meine Krallen durch mein mitternachtsschwarzes Haar gefahren und war wie eine gefangene Wölfin in ihren Gemächern auf und ab gegangen. „Warum haben die Schicksalsgöttinnen mich verflucht, ihn im Flüsterhain zu treffen?“
Ich war herumgewirbelt, um ihnen ins Gesicht zu sehen. „Ich habe kein Treffen gesucht! Ich brauchte nur eine Flucht, als der Schlaf mich verließ, also wanderte ich zum Hain, um Trost zu finden. Er erschien wie ein fleischgewordener Schatten.“
Meine Mutter hatte sich angespannt, ihre Krallen fuhren aus schützendem Instinkt aus. „Hat er dich durch die Dunkelheit gejagt?“
Ich schüttelte den Kopf, spürte die Blutlust in Königin Celeste aufsteigen. „Nein, Mutter.“ Ein müder Seufzer entfuhr mir. „Vielleicht suchte auch er eine Flucht vor dem Wissen um unser verfluchtes Band. Aber als das Mondlicht uns einander offenbarte, ergriff uns die uralte Magie. Deshalb haben wir uns unter den Sternen umarmt.“ Ich hatte auf meine zitternden Hände hinabgeblickt. „Deshalb prägt sein mitternächtlicher Duft jetzt meine Seele, Vater.“
Meine Unterlippe hatte gebebt, als die volle Wucht des Schicksals über mich hereinbrach. „Aber Verlangen bedeutet nicht Akzeptanz. Er gehört zu denen, die alles zerstört haben!“ Ich hatte mit der Hand durch die Luft geschlagen. „Ich werde nie vergessen, was sie uns gestohlen haben, als sie Rowan nahmen.“ Selbst jetzt wimmerte meine innere Wölfin in Trauer um unser verlorenes Rudelmitglied.
Die edlen Züge meines Vaters waren feierlich geworden wie Winterstein. „Auch wenn du nicht vergeben kannst, deine Wölfin hat gewählt. Sie hat sich an Schatten und Sternenlicht gebunden.“ Seine massiven Fäuste hatten sich geballt. „Ich kann nicht trennen, was die Mondgöttin selbst gewoben hat. Keine Macht in allen Reichen, nicht einmal der Befehl eines Königs, kann wahre Gefährten trennen. Du kennst dieses heilige Gesetz! Und der Nachtschattenhof auch.“
Ich hatte mir auf die Lippe gebissen, bis ich Kupfer schmeckte, verzweifelt bemüht, die Flut der Tränen zurückzuhalten. „Was … was willst du mir damit sagen, Vater?“
Sein Schweigen hatte Bände gesprochen, und mein Geist war zerbrochen wie Kristall auf Stein. Mit flehenden, bernsteinfarbenen Augen hatte ich mich meiner Mutter zugewandt und sie ohne Worte angefleht.
Ihr saphirblauer Blick hatte sich mit ungeweinten Tränen gefüllt, ihr starker Kiefer zitterte gegen kaum unterdrückte Schluchzer. Sie hatte sich abgewandt und Trost in der Umarmung meines Vaters gesucht, als er sie in seine schützende Wärme hüllte.
„Du verstehst dein Schicksal, Seraphina“, hatte mein Vater sanft gesagt. „Diese Verbindung bietet den einzigen Weg zu dauerhaftem Frieden. Wir müssen dieses Geschenk ergreifen, das euer Band beiden Völkern dargeboten hat.“
Die Worte hatten mich getroffen wie Silber durchs Herz.
Der Gesichtsausdruck meines Vaters hatte sich vor Qual verzogen. „Verletze mich nicht mit diesen Augen, meine Tochter.“ Er hatte einen zittrigen Atemzug genommen. „Diese Entscheidung zerreißt meine Seele genauso wie deine.“
Mein Blick hatte sich zu goldenen Schlitzen verengt. „Tut sie das wirklich?“
Sein Mund hatte sich zu einem grimmigen Strich zusammengepresst. „Du weißt, dass sie das tut.“
Ich hatte weggesehen und auf den Boden gestarrt, um zu verhindern, dass giftige Worte, die niemals zurückgenommen werden konnten, aus mir heraussprudelten.
„Seraphina.“
Ich hatte den Blick auf den sanften Ruf meiner Mutter hin gehoben.
„Lass Rowans Opfer nicht jede Bedeutung verlieren.“ Ihre Worte hatten tiefer gestochen, als es jede Klinge vermocht hätte. „Frieden war sein letzter Wunsch, sein letztes Heulen zum Mond. Und nun reicht uns der Hof von Schattental genau dieses Geschenk dar.“ Sie hatte ihr Kinn mit königlicher Würde erhoben, obwohl Tränen wie Tautropfen in ihren Augen glänzten. „Du trägst das Blut von Alphawölfen. Deine Pflicht ist so tief wie die unsere. Du weißt, was die Ehre verlangt. Die Frage bleibt … wirst du deine heilige Verantwortung aufgeben?“
Ich konnte nur dastehen und zusehen, wie Tränen silberne Spuren über meine Wangen zogen. Schließlich hatte ich meinen Kopf gesenkt und diese grausame Wendung des Schicksals angenommen.
Mein Schicksal war besiegelt worden, als mein Vater Augenblicke später in der Großen Halle der Verbindung zustimmte.
Was mich zu diesem Moment führte, in dem ich den rätselhaften Prinzen musterte. Seit Beginn unserer Reise ins Schattenreich hatte sich die Spannung zwischen uns wie ein lebendiges Wesen zusammengerollt. Er weigerte sich, meinen Blick zu erwidern, und warf mir nur flüchtige Blicke aus den Augenwinkeln zu. Ich hingegen beobachtete ihn eindringlich und wollte ihn dazu bringen, meine Anwesenheit anzuerkennen. Doch er blieb weiterhin dem Fenster zugewandt.
Meine ohnehin schon strapazierten Nerven rissen schließlich wie ein überspannter Draht.
„Eure Hoheit“, sagte ich mit einem Ton, der die Autorität meiner Blutlinie in sich trug. Ein Muskel zuckte an seiner scharfen Kieferlinie, was bewies, dass er mich deutlich gehört hatte. „Wir wurden zusammen in diese Kutsche gesetzt, um die Herzen des anderen kennenzulernen. Wie kann ein solches Verständnis aufkeimen, wenn Ihr schweigt wie das Grab?“
Sein violettes Auge zuckte gereizt auf. Dennoch bewahrte Prinz Lysander sein wahnsinnig machendes Schweigen. Ich kämpfte darum, meine Krallen eingezogen zu lassen, obwohl meine Fingerspitzen danach brannten, sie auszufahren.
Ich bemühte mich, meine Frustration nicht in meiner Stimme durchscheinen zu lassen, und fuhr fort: „Ich weiß, dass diese Situation Euren Stolz verletzt. Auch ich finde keine Freude an diesen Umständen.“ Lysanders Schultern versteiften sich, und Macht knisterte um ihn herum wie kaum gezügelte Blitze.
Was um alles in der Welt bedrückt ihn so sehr? Er schien so anders, als wir uns im Flüsternden Hain trafen …
Der Mann vor mir fühlte sich an wie ein bloßer Schatten dessen, der mich mit solch zärtlicher Ehrfurcht unter den Sternen gehalten hatte. Meine Gedanken schweiften zurück zu seiner edlen Stirn, die gegen meine gedrückt war, seinem Atem wie eine Mitternachtsbrise auf meiner Haut, diesen vollen Lippen, die nah genug waren, um die Versuchung selbst zu schmecken.
Hitze breitete sich tief in meinem Bauch aus wie geschmolzenes Silber. Verlangen sammelte sich zwischen meinen Schenkeln, feucht und fordernd. Meine Augen weiteten sich vor Schock. Ein Blick auf Prinz Lysander enthüllte …
Seine Nüstern blähten sich, als er den berauschenden Duft meiner Erregung wahrnahm. Dann erstarrte er wie ein Raubtier, ohne auch nur Luft zu holen.
Sein Blick glitt langsam zu meinem, und diese Amethysttiefen leuchteten nun mit einem überirdischen Feuer.
Ich musste diese Flamme löschen, bevor sie uns beide verzehrte! Egal, wie sehr sich meine Wölfin nach seiner Berührung sehnte, ich würde dem Verlangen nicht nachgeben. Nicht jetzt, niemals.
Ich presste mich zurück in die Polster und knurrte leise zur Warnung. „Wir sind beide in einer Paarung gefangen, die keiner von uns wünscht. Aber unsere Wünsche bedeuten wenig im Vergleich zu den Bedürfnissen unserer Völker.“
Von Pflicht zu sprechen schien seinen männlichen Hunger zu zügeln, denn das übernatürliche Leuchten verblasste aus seinen Augen, seine raubtierhafte Anspannung ließ nach. Er leckte sich über die Lippen und atmete tief durch. Er drehte sich ganz zu mir um, verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust und bedachte mich mit einem Blick, der kalt genug war, um Sternenlicht gefrieren zu lassen.
„An mir gibt es nichts Wissenswertes“, sagte Lysander, und seine Eckzähne verlängerten sich zu tödlichen Spitzen, die meinen Puls beschleunigten. „Lass mich unsere Vereinbarung glasklar machen. Ich werde dich niemals lieben oder dich wahrhaftig als meine Gefährtin anerkennen.“ Er neigte den Kopf mit spöttischer Anmut. „Betrachte dies als einen politischen Vertrag, nichts weiter als Pflicht und Verpflichtung.“
Mein Mund klappte vor Schock auf; die Worte hatten mich völlig verlassen. Ich schüttelte den Kopf, um meine zerstreuten Gedanken zu sammeln, und beugte mich mit einem warnenden Knurren vor. „Könnt Ihr nicht einmal grundlegende Höflichkeit versuchen? Wir sind für die Ewigkeit aneinandergebunden.“ Wieder stieß meine Bitte auf Schweigen. Ich schnaubte vor wachsender Frustration. „Welchen denkbaren Grund könntet Ihr für eine solche Kälte haben?“
Sein eisiger Blick durchdrang mich wie ein Winterwind. „Mehr Gründe, als du dir vorstellen könntest.“
Ich erstarrte bei der Erkenntnis, dass ich im Herzen dieses Mannes keine Wärme finden würde. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und wandte mich den vorbeiziehenden Schatten zu, während ein hohler Schmerz in meiner Brust nagte und die Einsamkeit wie eine gefrorene Flut über mich hereinbrach.
