Kapitel 7
Meine Gedanken drifteten zurück zu der Wildblume meiner Heimat, purpurrot und trutzig – ganz wie ich. Ein Echo des Waldes flüsterte durch meine Erinnerung, selbst als ich hier stand, umhüllt von der unheimlichen Dämmerung des Nachtschattenhofes.
Eine einsame Werwölfin unter den Fae.
Existierend. Atmend. Ausharrend.
Koexistierend … vielleicht sogar dazugehörend.
Eines Tages, vielleicht.
„Na, was haben wir denn hier?“, säuselte eine samtige Stimme, durchzogen von einer subtilen Bedrohung.
Die Köpfe drehten sich zum vergoldeten Torbogen, der in den Bankettsaal der Fae führte. Eine Fae-Frau stand anmutig unter der Schwelle, umrahmt von flackerndem Kerzenlicht. Schokoladenbraune Locken ergossen sich wie Flüsse über ihren Rücken und schimmerten auf ihrer goldenen Haut. Ihre Schritte waren katzenhaft und mühelos, wie die eines Panthers, der seine Beute umschleicht.
Instinktiv richtete ich mich auf, mein Rückgrat versteifte sich. Im Vergleich zu ihr fühlte ich mich rau – zu wild, zu ungezähmt. Mein Körper war nicht dafür gemacht, zu gleiten. Ich war für die Verfolgung gemacht, für die Jagd, für den Kampf.
Dennoch zog sich etwas Ursprüngliches in meiner Brust zusammen, als ich beobachtete, wie sie sich Prinz Lysander „Lys“ Schattenmeer näherte – meinem zugedachten Gefährten. Ihre Hand hob sich und strich mit schmerzlicher Vertrautheit über seine Wange.
Genau so, wie er mich im Garten berührt hatte.
Ihre silbergrauen Augen schimmerten besitzergreifend. „Ich habe um dich gefürchtet, Lysander“, flüsterte sie, ihre Stimme liebkoste seinen Namen wie das Gebet einer Liebenden.
Die Worte trafen mich wie Reißzähne an der Kehle. Meine innere Wölfin, Sable, knurrte unter meiner Haut, lief wie wild auf und ab und verlangte nach Blut. Meine Krallen fuhren aus und gruben sich in den Holztisch, während ich mich zurückhielt.
Kontrolle. Konzentration. Er gehört nicht uns. Nicht wirklich.
Mein Verstand flehte um Vernunft, aber mein Herz – dieses törichte Ding – pochte aus Protest. Konnte ich es wirklich ertragen, Lysander mit einer anderen zu sehen? Er hatte gesagt, diese Verbindung sei politisch. Eine Verbindung dem Titel nach, nicht der Seele.
Warum schrie dann jeder Zentimeter meines Körpers auf, als sie ihn berührte?
Ein leises Knurren entkam mir, bevor ich es aufhalten konnte.
Der Blick der Fae-Frau schnellte zu mir – kühl, berechnend, herablassend. Als wäre ich ein Köter, der hinter einem Tor knurrt. Meine Wölfin sträubte sich.
Aber dann … bewegte sich Lysander.
Sanft löste er ihre Hand von seiner Wange und ließ sie fallen.
Ihre Augen weiteten sich verletzt. Und Gott helfe mir – das gefiel mir.
„Was machst du hier, Prinzessin Rosalina?“, fragte Lysander mit angespanntem Kiefer.
„Du freust dich nicht, mich zu sehen“, sagte sie und hob das Kinn.
„Ich bin beschäftigt“, erwiderte er, sein Blick huschte kurz zu mir, bevor er sich wieder verhärtete. „Ich spreche später mit dir.“
Nein. Das Wort schoss ungebeten durch mich hindurch. Sable fletschte erneut die Zähne.
Rosalina deutete einen Knicks an, doch ihre Worte waren von Gift durchtränkt. „Ja, mein Prinz.“ Sie wirbelte herum und glitt davon, ihre Absätze hallten wie Donner wider.
Am anderen Ende des Tisches stieß Prinz Darius scharf die Luft aus. „Verdammt, Bruder. Du läufst geradewegs ins Feuer.“
Seine Schwester, Prinzessin Nyx, grinste, ihre indigoblauen Augen funkelten. „Von beiden Seiten.“
Meine Wangen röteten sich, als ich meine Krallen aus dem Tisch zog und die Hände in meinen Schoß legte. Waren meine Gefühle so offensichtlich gewesen?
Da sah Lysander mich an – und seine Augen weiteten sich.
Ohne ein weiteres Wort schob er seinen Stuhl zurück und erhob sich.
„Wirst du nicht aufessen?“, fragte Prinzessin Nyx mit singender Stimme.
„Mein Appetit ist verflogen“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
„Du weißt, was Mutter davon hält, wenn du Essen stehen lässt –“
„Es ist mir verflucht noch mal egal, was Mutter denkt“, fuhr Lysander sie an. Er zuckte zusammen, als seine Schwester zurückwich, seufzte dann und zwang sich zu einem ruhigeren Ton. „Ich habe dringendere Angelegenheiten zu erledigen.“
Sein Blick kehrte zu mir zurück. „Komm.“
Ich erstarrte. Sein Befehlston widerstrebte mir. Ich blieb sitzen.
Seine violetten Augen funkelten warnend. Meine Lippen kräuselten sich und zeigten als Antwort nur die Spitzen meiner Wolfsfänge.
Lysanders Stimme wurde sanfter. „Bitte. Komm mit mir.“
Dieses eine Wort löste mich vollständig auf.
Ich erhob mich und ignorierte das Hämmern meines Herzens. Als er sich zum Gehen wandte, warf ich einen Blick auf Darius und Nyx, die das Geschehen mit kaum verhohlener Belustigung beobachteten.
„Es war … ähm …“
„Lass nur“, sagte Nyx und winkte ab. „Geh und beruhige deinen Prinzen, bevor er sich in den Wahnsinn grübelt.“
„Einverstanden“, fügte Darius mit einem Augenzwinkern hinzu.
Errötend folgte ich Lysander.
Er wartete im Korridor wie ein in königliche Seide gehüllter Sturm, und als ich ihn einholte, schritt er wortlos neben mir her.
„Wohin gehen wir?“, fragte ich leise.
„In deine Gemächer“, sagte er in scharfem Ton.
Schweigend stiegen wir die Treppe hinauf. Meine Gedanken kreisten wieder um Rosalina. Die Art, wie sie ihn berührt hatte. Die Art, wie er es zugelassen hatte. Die Art, wie er sie aufgehalten hatte.
Meine Gefühle wirbelten durcheinander – Wut, Verwirrung, Sehnsucht.
Auf halber Höhe der großen Treppe blieb ich stehen. „Wer ist sie für dich?“
Lysander hielt nicht inne. „Du musst schon genauer werden.“
„Beleidige nicht meine Intelligenz“, knurrte ich. „Du weißt es genau.“
Oben an der Treppe blieb er endlich stehen. Die Stille zwischen uns spannte sich.
„Sie geht dich nichts an.“
Ein Knurren entrang sich meiner Kehle.
Ich stürmte die letzten Stufen hinauf, jeder Teil von mir vibrierte vor Wut.
„Hör zu, Fledermausjunge“, sagte ich und stieß ihm einen Finger gegen die Brust. „Es ist mir egal, welche Spielchen der Nachtschattenhof spielt oder wie du Werwölfe siehst. Aber ich werde nicht dein Anhängsel sein, während du mit irgendeiner Fae-Kurtisane Prinz spielst.“
Lysander drehte sich langsam um, und in seinen Augen schimmerte Gefahr wie Mondlicht auf Obsidian.
Ich legte nach. „Wenn du also vorhast, sie anzufassen und dann in mein Bett zu schlüpfen, dann mach dich darauf gefasst, mehr als nur deinen Titel zu verlieren.“
Schock zuckte über sein aristokratisches Gesicht. Für einen Moment wirkte er aufrichtig fassungslos.
„Hast du mich gerade … Fledermausjunge genannt?“
Ich blinzelte. „Ich habe dir gedroht, dich zu verstümmeln, und das ist es, worauf du dich konzentrierst?“
Er runzelte die Stirn, völlig verwirrt. „Was zum Teufel soll das überhaupt bedeuten?“
Ich starrte ihn an, dann brach ich in ein bitteres, wildes Lachen aus.
„Es bedeutet, dass du Flügel und ein dumm-selbstgefälliges Gesicht hast.“
Seine Lippen zuckten. „Verstanden.“
Wir standen da, zwei Stürme, die sich in einer Umlaufbahn gefangen hielten. Hitze pulsierte zwischen uns – Wut, ja, aber auch etwas Tieferes. Etwas Uraltes und Elektrisierendes.
Und dann sagte er nichts.
Und ich auch nicht.
Wir standen einfach nur da, und die Stille sagte all das, was unsere Worte nicht konnten.
Alles, was ich tun konnte, war, ihn anzustarren, meine Lippen in fassungslosem Unglauben geöffnet.
War er wirklich so aufgebracht, weil ich ihn Fledermausjunge genannt hatte?
Ein Kichern entfuhr mir, bevor ich es unterdrücken konnte. Die Art, wie sich seine Augen verengten – dunkel und glühend – machte den Moment nur noch köstlich absurder.
„Ich weiß nicht …“, sagte ich und tat unschuldig, während ich meinen Blick über seine markanten Züge und dann zu den spitzen Enden seiner Ohren gleiten ließ. „Du hast diese grüblerische Schattenaura, und deine Ohren haben den Ausschlag gegeben.“
Bevor Lysander etwas erwidern konnte, hob ich impulsiv eine Hand und streifte die geschwungene Kante seines Ohrs.
Ein Ruck ging durch uns beide.
Seine Haut war warm – weicher, als ich es mir vorgestellt hatte, nicht scharf oder kalt, wie es die Kriegsgeschichten beschrieben. Ich hielt den Atem an. Ich hatte noch nie zuvor einen Schatten-Fae berührt. Soweit ich wusste, galt dies als schweres Vergehen.
Seine Hand schoss blitzschnell hervor und packte mein Handgelenk. Sein Griff war fest, aber nicht schmerzhaft – eher besitzergreifend. Für eine Sekunde glaubte ich, ein Aufflackern von Hitze in seinen violetten Augen zu sehen.
„Hörst du damit auf?“, knurrte er mit tiefer, rauer Stimme. Er ließ meine Hand fallen, als hätte sie ihn verbrannt. „Fass … mich nicht an.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Wow. Beruhige dich mal. Ich war nur neugierig, ob deine Ohren rasiermesserscharf sind. Kein Grund, gleich deine seidene Fae-Unterwäsche in Wallung zu bringen.“
Seine Augen weiteten sich.
Meine Wölfin in mir wurde hellhörig.
Warte – errötet er etwa?
Eine warme Röte kroch über die eleganten Knochen seiner Wangen und blühte auf seiner sonst so glatten, bronzefarbenen Haut auf. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich den Schattenprinzen tatsächlich in Verlegenheit gebracht?
Ich ging meine Worte im Kopf noch einmal durch und zuckte zusammen.
Unterwäsche. Oh, Sterne.
Lysanders Blick schnellte – nicht gerade unauffällig – zu meinen Oberschenkeln. Mir stockte der Atem. Eine Welle der Hitze durchflutete meinen Körper. Instinktiv bewegte ich mich, meine Schenkel streiften sich, während ich gegen den Drang ankämpfte, mich zu bedecken.
Seine Nüstern blähten sich.
Mein Duft verriet mich.
Lysander blinzelte heftig, sein Kiefer spannte sich an, als kämpfe er einen unsichtbaren Krieg in seinem Inneren. Die Farbe wich ebenso schnell aus seinem Gesicht und wurde wieder von seiner gewohnten, wie gemeißelt wirkenden Gelassenheit abgelöst.
„Hier entlang“, krächzte er, seine Stimme von etwas Rohem durchzogen.
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und schritt den Korridor entlang wie ein in Schatten gehüllter Sturm.
Ich folgte ihm und versuchte, meinen rasenden Puls zu beruhigen.
Schließlich erreichten wir eine schwere Eichentür. Wortlos griff Lysander nach dem eisernen Ring und öffnete sie. Er trat zur Seite und bot mir die Schwelle an wie ein Kavalier aus einem alten Märchen.
Der Raum dahinter war in goldenes Licht getaucht, das durch die breiten Erkerfenster vom Schein der Dämmerung gemildert wurde. Als der Kronleuchter über mir zum Leben erwachte, blieb mir der Atem stehen.
Ein Himmelbett stand in der Mitte – majestätisch und mit durchsichtigen Seidenstoffen drapiert, die wie Morgenfrost schimmerten. Cremefarbene Laken und eine dicke Decke versprachen Wärme und Weichheit. Unter dem Bett erstreckte sich ein Samtteppich in der Farbe des Mondlichts. In der Nähe der Fenster wartete eine gemütliche Leseecke, deren Kissen tief und einladend aussahen.
Ich drehte mich langsam um und nahm alles in mich auf.
Der Duft in der Luft war eine schwache Mischung aus Kiefer, Rauch und etwas Zarterem – vielleicht Lavendel.
Seitlich lockte ein geräumiges Badezimmer mit einem schwebenden Waschtisch und einer freistehenden Badewanne mit vergoldeten Klauenfüßen. Es sah aus, als wäre es für eine Königin gemacht. Eine Wolfskönigin.
„Es ist … es ist …“, hauchte ich mit schwellendem Herzen. Ich wandte mich ihm zu. „Es ist wunderschön.“
Lysander lehnte mit verschränkten Armen am Rahmen, seine Körpersprache war unleserlich, aber sein Blick … er verließ mich nicht.
„Die Farben“, flüsterte ich, „die Möbel … So richten wir uns im Blutmondrudel ein. Das sind meine Farben.“
Er zuckte mit den Schultern, sein Gesichtsausdruck unbewegt. „Zufall.“
Ich kniff die Augen zusammen.
„Hast du das ausgewählt?“, fragte ich leise und trat näher, während sich ein Hauch von Misstrauen in meiner Brust kräuselte.
Lysanders Kiefer spannte sich an.
Anstatt zu antworten, stieß er sich vom Rahmen ab und trat wortlos zurück in den Flur.
Meine Wölfin regte sich unter meiner Haut, ihr Schwanz peitschte hin und her. Sie konnte die Wahrheit riechen, die er sich weigerte auszusprechen.
Er hatte das hier ausgesucht.
Für mich.
Und plötzlich war der Raum zwischen uns nicht nur physisch – er war mit etwas Schwererem aufgeladen. Etwas Unausgesprochenem.
Und es schmeckte nach Sehnsucht.
