Kapitel 1 Der Preis eines weiteren Manschettenknopfes!
Der erste Morgenstrahl drang durch die schweren Vorhänge und stach Naomi Kennedy in die Augenlider.
Ihr Kater hämmerte wie ein Presslufthammer gegen ihren Schädel. Die fremde Decke und der frische Duft von Männerparfüm in der Luft bestätigten die verheerende Realität, der sie sich stellen musste.
Letzte Nacht hatte sie völlig die Kontrolle verloren.
Auf der Verlobungsfeier von James Smith – dem Mann, den sie zwei Jahre lang geliebt hatte – und seiner gesellschaftlich angesehenen Verlobten hatte sie sich in die Bewusstlosigkeit getrunken und dann den erstbesten Mann gepackt, den sie finden konnte...
Naomi hielt den Atem an, als sie vorsichtig die Kante der Bettdecke anhob.
Der Mann neben ihr schlief noch, sein Profil war scharf und definiert. Selbst im Schlaf strahlte seine gerunzelte Stirn eine einschüchternde Aura aus, die "halte Abstand" zu schreien schien.
Sie hatte gerade ihre Füße auf den eiskalten Boden gestellt und versuchte zu entkommen, während er noch schlief, als plötzlich eine glühende Hand ihr Handgelenk mit erdrückender Kraft packte.
Sein Griff war unnachgiebig, unmöglich sich zu befreien.
Naomis Herz raste wild, als sie erstarrte und sich nicht traute, sich umzudrehen.
Eine tiefe, magnetische Stimme erhob sich hinter ihr, rau vom Schlaf, aber kristallklar: „Versuchst du wegzulaufen, nachdem du mit mir geschlafen hast?“
Naomis Gesicht brannte vor Scham.
„Sir, letzte Nacht war ein Fehler“, sagte sie und versuchte, Haltung zu bewahren. „Wir sind beide Erwachsene. Ich werde Sie nicht weiter belästigen.“
„Ein Fehler?“ Die Stimme des Mannes wurde tiefer. „Ach ja?“
„Ja, ein Fehler. Ich war betrunken und erinnere mich an nichts. Wir sind Erwachsene – lassen Sie uns das nicht kompliziert machen.“
Während sie sprach, drängten sich Erinnerungsfetzen der letzten Nacht in ihr Bewusstsein – wie sie sich verzweifelt an diesen Mann geklammert und ihn angefleht hatte, mit ihr zu schlafen. Sie konnte nicht glauben, dass sie eine so wilde Seite hatte!
Peinlich!
Sie redete sich ein, dass es irgendein Alter Ego gewesen sein musste, das die Kontrolle übernommen hatte. Das Schlimmste war, ihre Jungfräulichkeit in einem solchen gedankenlosen Rausch zu verlieren!
Naomi atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und versuchte, ihren Ton leicht und beiläufig zu halten.
Sie versuchte erneut, ihr gefangenes Handgelenk zu befreien.
„Was, wenn ich es kompliziert machen möchte?“ Der Mann verstärkte seinen Griff.
„Sir, Sie sind derjenige, der hier Glück gehabt hat. Ich bin großzügig, indem ich nicht verlange, dass Sie Verantwortung übernehmen, finden Sie nicht?“ Naomi verzog vor Schmerz das Gesicht und war gezwungen, sich umzudrehen.
Ein Blick, und ihr Blut gefror.
Es war er – Jonathan Cavendish.
Der Herrscher der Cavendish Corporation, der mächtigste und einflussreichste Mann des Landes.
Gerüchte besagten, dass er im Geschäft rücksichtslos und gegenüber Frauen kalt war – der ultimative Preis, um den unzählige Gesellschaftsdamen verzweifelt kämpften, dem sie aber nicht einmal nahe genug kommen konnten, um den Saum seiner Kleidung zu berühren.
Noch schlimmer war, dass die Familien Cavendish und Smith seit Jahren erbitterte Geschäftsgegner waren.
James hatte diesen Namen mehr als einmal mit zusammengebissenen Zähnen in ihrer Gegenwart erwähnt.
Naomis Gedanken wirbelten ins Chaos.
Sie hatte mit dem Erzfeind ihres Ex-Freundes geschlafen? Das war jenseits aller Absurdität!
Jonathan hatte sich aufgesetzt, und die Seidendecken rutschten hinunter und enthüllten seine muskulöse Brust und Arme.
Mehrere auffällige rote Kratzer hoben sich scharf von seiner Haut ab und zeugten stumm von der Leidenschaft der letzten Nacht.
Sein Blick richtete sich auf ihr panisches Gesicht, als sich seine dünnen Lippen öffneten, sein Ton ohne jede Wärme: „Also bist du die 'erste Liebe', die James abgeschrieben hat?“
Die Worte trafen Naomi wie eine Ohrfeige, Scham und Demütigung überfluteten sie vollständig.
Sie biss sich auf die Unterlippe, ihre Nägel gruben sich in ihre Handflächen, unfähig, ein Wort herauszubringen.
Jonathan betrachtete sie einige Sekunden lang, bevor er sich erhob, um sich anzuziehen. Sein Blick fiel auf sein Handgelenk, und seine Stirn runzelte sich leicht.
Er hob seinen Arm und zeigte Naomi die leere Manschette seines Hemdes.
„Diese Manschettenknöpfe wurden maßgefertigt. Es gibt nur ein Paar auf der Welt“, sagte er methodisch. „Wo ist der andere?“
Naomis Gedanken wurden von einem ohrenbetäubenden Summen überflutet.
Als sie nach unten blickte, stellte sie fest, dass der Diamant-Manschettenknopf am rechten Ärmel des Hemdes des Mannes verschwunden war.
„Ich... ich weiß es nicht...“ Naomi durchsuchte hektisch das Bett und den Boden, fand jedoch nichts außer ihren zerwühlten Kleidern.
„Kannst du ihn nicht finden?“ Jonathans Ton verriet keine Emotion, doch die Atmosphäre im Raum wurde plötzlich schwer. „Dann musst du dafür bezahlen.“
„Wie viel?“ platzte es aus Naomi heraus.
Sie wollte das Ganze einfach mit Geld regeln und sofort aus der Gegenwart dieses Mannes verschwinden.
Jonathan lachte leise und spöttisch. „Frau Kennedy, glauben Sie, ich brauche Geld?“
Naomis Herz sank ihr in die Magengrube.
„Finde ihn, oder,“ Jonathan lehnte sich vor, sein warmer Atem strich mit tödlicher Gefahr an ihrem Ohr vorbei, „bezahle mit dir selbst.“
Mit diesen Worten zog er sein Hemd aus und ging direkt ins Badezimmer.
Naomi nutzte die Gelegenheit, um ihr zerknittertes Abendkleid vom Boden zu greifen. Sie zog sich in Rekordzeit an und machte sich nicht einmal die Mühe, den Reißverschluss am Rücken richtig zu schließen, bevor sie in Unordnung aus dem Hotel floh.
Zurück in ihrer leeren Mietwohnung glitt Naomi völlig erschöpft zu Boden.
Ihr Telefon vibrierte unablässig, der Name ihrer besten Freundin Grace Hernandez leuchtete unaufhörlich auf dem Bildschirm auf.
In dem Moment, als Naomi abnahm, brach Grace' Gebrüll los: „Naomi, bist du verrückt?! Du bist tatsächlich zu der Verlobungsparty dieses widerlichen Paares gegangen? Habe ich dir nicht gesagt, dass du zu Hause auf mich warten sollst? Ich hätte ihre Party letzte Nacht crashen sollen!“
Mit dem kalten Telefon in der Hand brachen Naomi schließlich die Tränen.
Sie und James waren fünf Jahre zusammen gewesen, von der Uni bis zu ihren Karrieren. Sie hatte ihn unterstützt, während er sich von nichts zu mäßigem Erfolg hocharbeitete.
Sie dachte, sie steuerten auf die Ehe zu, aber er hatte sich einer Erbin der High Society zugewandt, die ihm zwanzig Jahre harter Arbeit ersparen konnte.
Beim Schlussmachen hatte James gesagt: „Naomi, es tut mir leid. Ich bin müde. Ich will nicht mehr kämpfen.“
Er hatte ihre zwei Jahre zusammen mit einem lässigen „Ich bin müde“ abgetan.
Wenn jemand müde war, dann war es Naomi, aber die Wahrheit war einfach: Er liebte sie nicht genug.
Sie hatte ihn gewählt, in guten wie in schlechten Zeiten, und sie hatte es akzeptiert.
Der Herbstregen prasselte gegen die Fenster, während die ganze Stadt kalt und feucht wurde.
„Grace, mir geht es gut, mach dir keine Sorgen“, sagte sie und legte auf, lehnte sich erschöpft gegen die Wand und wollte kein weiteres Wort mehr sagen.
Am Montag kehrte Naomi müde aussehend zu „Starlight Media“ zurück.
Kaum hatte sie den Fahrstuhl betreten, kam die Büroklatsch-Tante auf sie zu. „Hast du schon gehört? Unsere Firma wird übernommen! Man sagt, es ist die Cavendish Corporation!“
Naomis Schritte stockten abrupt.
Die Cavendish Corporation? Jonathan?
Wie konnte das so ein Zufall sein?
Den ganzen Tag über blieb Naomi abgelenkt. Jonathans strenges Gesicht und seine Worte – „bezahle mit dir selbst“ – verfolgten ihre Gedanken.
Am Abend holte Grace sie in ihrem auffälligen roten Sportwagen ab.
Die beiden gingen in ihr Lieblingsrestaurant für scharfes Essen, wo die betäubende Schärfe Naomis Nerven vorübergehend beruhigte.
„Und wenn sie uns übernehmen? Die Cavendish Corporation ist riesig – die Vorteile werden besser sein als das, was wir jetzt haben. Es ist die perfekte Gelegenheit für dich, dein Umfeld zu ändern und diesen Mistkerl James komplett zu vergessen!“ Grace redete leidenschaftlich.
Naomi lächelte bitter. Es war nicht die Übernahme, die sie fürchtete, sondern Jonathan.
In diesem Moment leuchtete ihr Telefonbildschirm auf.
Eine Nachricht von einer unbekannten Nummer erschien – nur ein paar Worte, die Naomi den Atem stocken ließen.
Dort stand: [Hast du meinen Manschettenknopf schon gefunden?]
