Kapitel 1
Der Boden war hart unter Shayne, als sie langsam die Augen öffnete. Sonnenlicht, das durch das Fenster über der Spüle fiel, blendete sie. Ihr Kopf schmerzte und ihr Magen fühlte sich flau an. Sie versuchte, die Benommenheit abzuschütteln und ihren Blick zu fokussieren. Ihr Körper war schwach und sie konnte sich nicht aufraffen, sich aufzusetzen. Sie lag ausgestreckt auf den schmutzigen schwarz-weißen Fliesen und starrte zur vergilbten Decke hinauf. Ihr Kopf lag neben dem hässlichen Metallbein eines Küchentisches, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Shayne blinzelte schnell, um den geistigen Nebel zu vertreiben. Sie hob ihren pochenden Kopf und sah sich um. Dies sah aus wie ihre Küche, aber gleichzeitig auch nicht. Sie wusste, dass sie vor wenigen Minuten, vielleicht sogar Sekunden, noch mit ihrer Großmutter dagestanden und das Medaillon anprobiert hatte, das sie bekommen hatte. Doch jetzt war sie allein, Oma Rachel war verschwunden. Alles war seltsam und anders. Wie konnte sich alles so schnell verändert haben und warum liege ich auf dem Boden? fragte sie sich still. Ihre Augen waren weit aufgerissen vor Angst und Verwirrung.
Sie sah sich weiter im Raum um, während die Übelkeit nachließ. Dies waren die gleichen Fliesen, die sie letzte Woche noch gesehen hatte, als Rachel auf Händen und Knien schrubbte. Doch plötzlich waren sie schmutzig und vergilbt, als wären sie seit Jahren nicht gereinigt worden. Das Spülbecken war voller Geschirr. Sie starrte auf die Geräte, die die Marmorarbeitsplatten überhäuften und sich auf einen Tisch ergossen, den Shayne sicher nicht besaß.
Wo bin ich und wie genau bin ich hierher gekommen? Ein zweiter Blick in die Küche bestätigte den wachsenden Verdacht, dass dies tatsächlich ihr Haus war. Das antike Sideboard war noch da, ebenso wie andere Dinge, die sie erkannte. Sie bezweifelte ernsthaft, dass es eine andere Küche auf der Welt geben könnte, die sie mit ihrer eigenen verwechseln könnte. Shayne zog sich schmerzhaft vom Boden hoch und setzte sich aufrecht hin. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so stark verletzt gewesen zu sein. Jeder Muskel fühlte sich bis auf die Knochen geprellt an. Der Schmerz versicherte ihr, dass sie nicht träumte. Niemals war das Anderson-Haus so schlecht gepflegt gewesen, und nur in einem Traum könnte es jetzt so sein. Außerdem, wie sonst könnte man erklären, warum plötzlich alles müde und alt wirkte? Shayne kniff die Augen zusammen und versuchte, sich an das Letzte zu erinnern, was sie wusste. Sie probierte das Medaillon in der Küche an... Das Medaillon! Unwillkürlich griff sie an ihren Hals. Es lag auf ihrem empfindlichen Schlüsselbein. Sie befühlte es glücklich, während ihr Kopf schwindelte. Dann erinnerte sie sich an das wirbelnde Dunkel und das Gefühl des Fallens. Das ist es, dachte sie. Ich muss ohnmächtig geworden sein. Das würde erklären, warum ich auf dem Boden liege. Aber es erklärte immer noch nicht das heruntergekommene Aussehen der Küche oder Rachels plötzliches Verschwinden.
Shayne zwang sich langsam auf die Beine. Stöhnend und zischend riss der Schmerz aus ihrer Brust, während sie sich bewegte. Die pure Qual ließ ihre normalerweise anmutigen Bewegungen abgehackt und unkoordiniert erscheinen. Nach beträchtlicher Anstrengung gelang es ihr, aufzustehen und sich in ihrer Umgebung umzusehen. Es musste eine vernünftige Erklärung geben.
Inzwischen, anderswo im alten Backsteinhaus der Andersons, atmete ein anderer tief durch und schloss die Augen. Der rothaarige Mann öffnete die Augen und seufzte leise. Er starrte ins Leere und schüttelte den Kopf, um ihn zu klären. Er würde sich jetzt nicht erlauben, an sie zu denken. Er würde sich nicht auf ihr erdbeerblondes Haar konzentrieren oder sich an ihr Lachen erinnern. Nein, nicht heute, dachte er, während er den Schraubenzieher drehte. Die Schraube zog sich unter seinem wütenden Druck fest und das Scharnier war wieder sicher. Er ließ die Hände zu seinen Seiten sinken, blieb aber in seiner gehockten Position.
Er wollte weiterdrehen. Er wollte drücken, ziehen und drehen, bis die Schraube sauber brach. Vielleicht wäre er frei, wenn er nur für den kleinsten Moment die Wut über sich kommen ließe. Er zitterte vor Wut. Er war krank vor Wut. Die letzten zehn Jahre hatte er nichts anderes getan als essen, schlafen und atmen, erfüllt von Schuld, Wut und Schmerz.
Aber das Zerbrechen des marmornen Waschtisches würde ihm keine Erleichterung bringen. Nur das tote Mädchen könnte das, aber sie war jetzt weg und würde nicht zurückkommen. Es war nichts mehr von ihr übrig außer diesem alten Haus und einer geisterhaften Erinnerung, von der er sich niemals befreien würde. Er warf den Schraubenzieher ins Waschbecken und fluchte leise. Es war immer schlimmer, wenn er allein war. Manchmal dachte er, er könnte sie noch im Wind lachen hören. Das konnte nicht sein, wusste er. Es war nur das Haus, das ihn mit seiner erblichen Erinnerung verspottete. Er hasste die Stille zutiefst.
Er schalt sich innerlich für sein Selbstmitleid, als er sich aufrichtete. Er blickte in den Badezimmerspiegel und verzog das Gesicht. Seine Augen waren schwarz vor Wut, sein Mund zu einem finsteren Ausdruck verzogen. Falten begannen sich auf seiner Stirn und um seine Augen zu bilden, von all dem Stirnrunzeln. Er wusste, dass er schrecklich aussah. Er war seit drei Tagen wach, geplagt von Träumen über das rothaarige Mädchen, und die riesigen dunklen Ringe unter seinen Augen waren der Beweis dafür. Der tiefe Ausdruck der Trauer auf seinem Gesicht verzerrte seine markanten Züge auf grausame Weise. Sein normalerweise gut gepflegtes Haar war zerzaust und stand etwa einen Zentimeter von seinem Kopf ab.
Er lachte leise über seine Hühnerstallfrisur. „Nur weil du im Urlaub bist, heißt das nicht, dass du dich gehen lassen darfst“, sagte er zu sich selbst, während er seine Hände benetzte und sein widerspenstiges Haar glättete. Er steckte sein schmutziges Tanktop in seine Lieblingsjeans, die schon gut eingetragen waren, und tippte mit seinem braunen Arbeitsstiefel auf den Boden.
