Kapitel 2: Echos der Vermissten

Die Schritte führten Lana tiefer in den Wald, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Was als vorsichtige Verfolgung begonnen hatte, verwandelte sich bald in eine verzweifelte Jagd, da die Geräusche ständig knapp vor ihr blieben, immer in Bewegung, nie ganz nah genug, um ihre Quelle zu offenbaren. Ihre Lungen brannten vor Anstrengung, und die Schnittwunde an ihrer Schläfe begann wieder zu bluten, warme Rinnsale liefen die Seite ihres Gesichts hinunter.

Sie folgte dem unsichtbaren Führer fast eine Stunde lang, als die Schritte plötzlich aufhörten.

Lana erstarrte mitten im Schritt und lauschte angestrengt, ob irgendein Geräusch verraten könnte, wo ihr geheimnisvoller Begleiter hingegangen war. Die Stille, die sie begrüßte, war so vollkommen, dass sie sich wie ein physisches Gewicht gegen ihre Trommelfelle drückte. Selbst ihr eigenes Atmen klang unnatürlich laut in der Stille.

„Hallo?“ flüsterte sie und fühlte sich sofort albern, weil sie flüsterte. Wenn jemand dort draußen war, wusste er bereits genau, wo sie sich befand. „Bitte, ich will nur meine Freunde finden.“

Die Worte schienen einen Moment lang in der Luft zu hängen, bevor sie von den hoch aufragenden Kiefern, die sie umgaben, absorbiert wurden. Sie stand in dem Teil des Waldes, der offenbar der älteste war, wo die Bäume so hoch und dicht wuchsen, dass ihr Blätterdach den größten Teil des Himmels blockierte. Die wenigen Sonnenstrahlen, die es schafften, durchzudringen, schufen eine fast kathedralartige Atmosphäre, mit goldenen Lichtstrahlen, die langsam driftende Staub- und Pollensäulen beleuchteten.

Es war auf eine Weise schön, die ihre Brust mit einer Emotion eng werden ließ, die sie nicht ganz benennen konnte. Aber es war auch irgendwie falsch, wie ein Gemälde, das perfekt ist, außer einem kleinen, beunruhigenden Detail, das das Auge nicht ganz identifizieren kann.

Lana machte einen Schritt nach vorne und stolperte sofort über etwas, das halb im dicken Teppich aus Kiefernnadeln vergraben war. Sie schaute nach unten und erwartete, einen gefallenen Ast oder eine freiliegende Wurzel zu sehen, und fand sich stattdessen vor einem Rucksack wieder.

Nicht irgendein Rucksack—sie erkannte den markanten violetten Stoff und die Sammlung von Emaille-Ansteckern an der Vordertasche. Das war Mayas Tasche, die sie an diesem Morgen im Bus getragen hatte. Die Tasche mit ihrem Namen, der in ihrer Mutter sorgfältiger Stickerei innen eingestickt war: MAYA ELIZABETH TORRES.

Lanas Hände zitterten, als sie die Tasche aufnahm und das Hauptfach öffnete. Im Inneren fand sie Mayas Sachen verstreut und durcheinander: Schulbücher mit verbogenen Einbänden, Stifte ohne Kappen, eine halb leere Wasserflasche und Mayas Tagebuch—das schwarze Lederne, in das sie ständig schrieb, aber nie jemanden lesen ließ.

Das Tagebuch fiel in Lanas Hände auf und enthüllte Mayas vertraute Handschrift, die sich über die Seiten erstreckte. Aber als Lana zu lesen begann, lief ihr Blut kalt.

Tag 1 - Sie haben uns nachts mitgenommen. Ich wachte an einen Baum gebunden auf, etwa zwei Meilen von der Stelle entfernt, an der der Bus anhielt. Lana war in der Nähe bewusstlos und blutete am Kopf. Ich versuchte, sie zu wecken, konnte aber nicht nah genug kommen. Als ich es schaffte, mich zu befreien, war sie weg.

Lanas Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Das konnte nicht real sein. Sie würde sich daran erinnern, an einen Baum gebunden gewesen zu sein. Sie würde sich daran erinnern, dass Maya dort war.

Sie blätterte zum nächsten Eintrag, der nur einen Tag später datiert war.

Tag 2 - Habe David in einem Abflussrohr in der Nähe der alten Holzfällerstraße versteckt gefunden. Seine Brille ist zerbrochen und er kann kaum sehen. Er sagt, er hat gesehen, wie sie Sarah und Marcus mitgenommen haben. Sagt, sie hatten Masken und bewegten sich wie Soldaten. Professionell. Das ist nicht zufällig.

Die Seiten verschwammen, als Tränen Lanas Augen füllten. Maya war am Leben—oder war am Leben gewesen, als sie das schrieb. Aber wann hatte sie es geschrieben? Die Einträge waren datiert, aber ohne Bezugspunkt konnte Lana nicht sagen, ob sie von gestern oder letzter Woche waren.

Sie blätterte durch weitere Seiten und fand zunehmend verzweifelte Einträge:

Tag 4 - Wir werden gejagt. Nicht von Tieren. Von Menschen. Sie lassen Dinge für uns zurück—Essen, Vorräte—aber es ist nie genug. Es ist, als wollten sie uns hungrig und verzweifelt, aber nicht tot. David denkt, es ist eine Art Experiment.

Tag 6 - Habe David gestern verloren. Hörte ihn um Mitternacht schreien, dann nichts. Fand heute Morgen Blut an den Bäumen, aber keinen Körper. Ich bin jetzt allein. Wenn jemand das findet, sagt meinen Eltern, dass ich sie liebe.

Der letzte Eintrag war vor nur zwei Tagen datiert:

Tag 8 - Ich kann hören, wie sie näher kommen. Die Schritte in der Nacht, die Stimmen in der Ferne. Ich lasse diese Tasche hier mit allem anderen. Wenn Lana noch am Leben ist, wenn sie das findet, muss sie wissen: Vertrau niemandem. Sie sind überall. Auch Menschen, die so aussehen, als wollten sie helfen.

Lanas Hände zitterten so stark, dass sie das Tagebuch kaum halten konnte. Maya war die ganze Zeit bei Bewusstsein gewesen, sich dessen bewusst und verängstigt, während Lana... was? Bewusstlos? Unter Drogen? Wie viel Zeit war seit der Busfahrt vergangen?

Sie stopfte das Tagebuch zurück in die Tasche und durchsuchte weiter Mayas Sachen. Am Boden des Hauptfachs schlossen sich ihre Finger um etwas, das sie zum Keuchen brachte – Mayas Handy, immer noch in seiner glitzernden Hülle.

Im Gegensatz zu Sarahs Handy hatte dieses noch Strom. Der Bildschirm leuchtete auf, als sie die Home-Taste drückte, und zeigte siebzehn verpasste Anrufe von Mayas Mutter und dutzende Textnachrichten. Doch was Lana den Magen zusammenziehen ließ, war das Datum oben auf dem Bildschirm: Es waren neun Tage seit dem Schulausflug vergangen.

Neun Tage. Sie war über eine Woche lang verschwunden, und sie konnte sich an nichts erinnern.

Sie versuchte, das Handy zu entsperren, aber es benötigte Mayas Fingerabdruck oder Passcode. Frustriert wollte sie es gerade weglegen, als sie etwas anderes bemerkte – die Kamera-App des Handys hatte einen roten Benachrichtigungspunkt, der auf kürzlich aufgenommene Fotos hinwies. Es gelang ihr, ohne Entsperrung auf die Kamera-Rolle zuzugreifen, und was sie dort fand, ließ ihr Blut gefrieren.

Die neuesten Fotos waren dunkel und verschwommen, offensichtlich in Verzweiflung oder Angst aufgenommen. Sie konnte schemenhafte Waldaufnahmen erkennen, Schatten, die Menschen sein könnten, und etwas, das wie eine Art Struktur in einen Hügel gebaut aussah. Doch es war die Metadaten der Fotos, die sie wirklich erschreckten – das letzte Bild war vor gerade einmal sechs Stunden aufgenommen worden.

Sechs Stunden. Maya war vor nur sechs Stunden noch am Leben und hatte Fotos gemacht.

Lana fummelte mit dem Handy herum, versuchte herauszufinden, wie sie die Standortdaten der Fotos sehen konnte, als ein Geräusch sie erstarren ließ. Stimmen. Menschliche Stimmen, die leise und eindringlich sprachen.

Sie schlich in Richtung des Geräuschs, Mayas Rucksack an ihre Brust gedrückt. Die Stimmen kamen von irgendwo weiter vorne, hinter einem dichten Stand junger Kiefern. Sie konnte mindestens zwei, vielleicht drei Personen hören, aber nicht verstehen, was sie sagten.

So leise wie möglich schlich Lana näher. Die Stimmen wurden klarer, je näher sie kam, und was sie hörte, ließ ihr Herz vor Hoffnung und Angst gleichermaßen rasen.

„—haben ihr Gepäck vor etwa einer Stunde gefunden. Sie kann nicht weit gekommen sein.“

„Die andere hat mehr Ärger gemacht, als sie wert ist. Vielleicht sollten wir einfach—“

„Nein. Die Parameter sind spezifisch. Wir brauchen alle für die nächste Phase.“

Lana drückte sich gegen den Stamm einer massiven Kiefer und versuchte, zu verstehen, was sie hörte. Redeten sie über Maya? Über sie? Welche Parameter? Welche nächste Phase?

Sie schlich weiter vor, bis sie durch die Zweige sehen konnte. Drei Gestalten standen in einer kleinen Lichtung etwa dreißig Meter entfernt, alle in dunkler Kleidung und sprachen in dem knappen, professionellen Ton, den sie mit Militär oder Polizei verband. Doch diese Uniformen erkannte sie nicht, und etwas an ihrer Haltung und ihren Bewegungen wirkte falsch, raubtierhaft.

Einer von ihnen hielt ein Gerät, das wie ein Tablet oder ein Handheld aussah, dessen Bildschirm im Waldschatten blau leuchtete. „Subjekt Drei bewegte sich vor ungefähr zwanzig Minuten durch Raster Sieben. Sie folgt der Brotkrumenspur genau wie vorhergesagt.“

Subjekt Drei. Redeten sie über sie?

„Gut. Das psychologische Profil deutete an, dass sie auf die Tagebucheinträge reagieren würde. Emotionale Manipulation funktioniert bei diesem Typ besser als physische Bedrohungen.“

Lanas Mund wurde trocken. Die Tagebucheinträge – Mayas verzweifelte, verängstigte Worte – waren sie gefälscht? Speziell geschrieben, um sie zu manipulieren?

Aber das war unmöglich. Sie kannte Mayas Handschrift besser als ihre eigene. Diese Einträge waren echt gewesen, voller Mayas spezifischer Ängste und Redewendungen. Niemand konnte dieses Maß an Detail fälschen.

Es sei denn...

„Was ist mit dem Jungen in Sektor Fünf? Er ist seit drei Tagen vom Skript abgewichen.“

„Cole Martinez. Sein psychologisches Profil deutete auf ein Potenzial für längeren Widerstand hin. Wir müssen sein Szenario möglicherweise eskalieren.“

Cole Martinez. Lana kannte diesen Namen – er war in ihrer Biologiestunde, ein ruhiger Junge, der hinten saß und selten sprach, es sei denn, er wurde aufgerufen. War er auch hier? War er auch Teil dieses Alptraums, in den sie hineingestolpert war?

„Und die anderen?“

„Subjekt Zwölf brach gestern zusammen. Sie ist bereit zur Abholung. Subjekt Sieben zeigt immer noch Anzeichen von Rebellion, aber seine Konditionierung verläuft innerhalb akzeptabler Parameter.“

Die beiläufige Art, wie sie über ihre Klassenkameraden sprachen und sie auf Zahlen und psychologische Profile reduzierten, ließ Lana schlecht werden. Aber sie zwang sich, weiter zuzuhören, um so viele Informationen wie möglich zu sammeln.

„Was ist mit der langfristigen Viabilität? Die Sponsoren stellen Fragen zu den Erfolgsraten.“

„Phase Eins hat die Erwartungen übertroffen. Dreiundsiebzig Prozent Anpassungsrate, mit nur minimalen dauerhaften psychologischen Schäden bei den erfolglosen Probanden. Phase Zwei sollte noch bessere Ergebnisse liefern, sobald wir die neuen Protokolle umsetzen.“

Einer der Figuren konsultierte erneut sein Gerät. „Proband Drei sollte den nächsten Wegpunkt innerhalb der nächsten Stunde erreichen. Stellen Sie sicher, dass der Köder richtig positioniert ist.“

Köder. Sie benutzten etwas als Köder, um sie irgendwohin zu locken. Aber was? Und wohin?

Die Figuren begannen sich zu bewegen, gingen in verschiedene Richtungen durch den Wald, mit dem selbstbewussten Schritt von Menschen, die genau wussten, wohin sie gingen. Lana wartete, bis sie sicher war, dass sie weg waren, bevor sie aus ihrem Versteck hervortrat, ihr Kopf schwirrte vor dem, was sie belauscht hatte.

Das war keine zufällige Entführung oder ein verdrehtes Überlebensspiel. Es war organisiert, professionell, mit „Sponsoren“ und „Protokollen“ und psychologischen Profilen. Jemand – mehrere Jemanden – hatten das lange geplant, sie und ihre Klassenkameraden studiert, ihre Schwächen und Ängste erforscht.

Aber warum? Was könnten sie von einer Gruppe von Highschool-Schülern wollen?

Während sie dort stand und versuchte zu verarbeiten, was sie erfahren hatte, wurde Lana sich eines anderen Geräusches bewusst, das durch den Wald drang – leise, aber unverkennbar menschlich. Jemand weinte.

Das Geräusch kam von irgendwo links von ihr, tiefer im Wald, wo die Bäume so dicht wuchsen, dass der Boden unter ihnen von jahrelang angesammelten Kiefernnadeln bedeckt war. Sie zögerte, erinnerte sich an das Gespräch, das sie gerade über Köder und Wegpunkte belauscht hatte. War das eine weitere Falle, eine weitere Manipulation, um sie dorthin zu führen, wo sie sie haben wollten?

Aber das Weinen klang so echt, so voller Verzweiflung und Angst, dass sie es nicht ignorieren konnte. Wenn einer ihrer Klassenkameraden dort draußen war, verletzt und allein, musste sie versuchen zu helfen.

So leise wie möglich bewegte sich Lana durch das dichte Unterholz dem Geräusch entgegen. Das Weinen wurde lauter, je näher sie kam, durchsetzt mit dem, was wie Gebete oder Bitten klang, geflüstert in einer Stimme, die sie fast erkannte.

Sie schlich um den Stamm einer riesigen Kiefer und fand sich an einem natürlichen Einbruch im Waldboden wieder, fast wie ein kleines Amphitheater, das durch Jahrzehnte der Erosion geformt wurde. Und dort, zusammengekauert an der gegenüberliegenden Wand der Senke, war eine Gestalt, die sie sofort erkannte.

Jenny Rodriguez, eine Juniorin aus ihrem Spanischkurs, saß mit angezogenen Knien und schaukelte vor und zurück, während Tränen über ihr schmutzverschmiertes Gesicht liefen. Ihre Kleidung war zerrissen und schmutzig, und sie hatte etwas, das wie Striemen von Seilen um ihre Handgelenke aussah.

„Jenny!“ rief Lana, bevor sie sich stoppen konnte.

Jennys Kopf schnellte hoch, und für einen Moment war ihr Gesicht von solch reiner Freude und Erleichterung erfüllt, dass Lana selbst Tränen in die Augen schossen. Aber dann änderte sich Jennys Ausdruck, durchlief schnell Verwirrung, Angst und schließlich etwas, das beunruhigend wie Misstrauen aussah.

„Lana?“ Jennys Stimme war heiser, als ob sie geschrien hätte. „Bist du es wirklich?“

„Ja, ich bin es. Geht es dir gut? Was ist mit dir passiert?“

Aber statt zu antworten, krabbelte Jenny rückwärts und drückte sich fester gegen die Erdwand hinter ihr. „Wie weiß ich, dass du echt bist? Wie weiß ich, dass das nicht ein weiterer Test ist?“

Die Frage traf Lana wie ein physischer Schlag. Ein weiterer Test. Welche Art von Tests hatte Jenny durchmachen müssen? Was war ihr angetan worden, dass sie an der Realität ihrer eigenen Rettung zweifelte?

„Jenny, ich bin es wirklich. Ich habe Mayas Rucksack gefunden und ihr Tagebuch. Sie hat darüber geschrieben, was passiert ist, über ihre Entführung. Ich habe nach allen gesucht.“

„Maya ist tot.“ Jennys Stimme war flach, emotionslos. „Ich habe gesehen, wie sie sie gestern geholt haben. Sie hat gekämpft, aber sie waren stärker. Sie sind immer stärker.“

„Nein, das kann nicht sein. Ihr Handy hatte Bilder von vor ein paar Stunden. Sie war heute Morgen noch am Leben.“

Jenny lachte, aber es war ein gebrochenes Geräusch, ohne echten Humor. „Zeit funktioniert hier nicht auf die gleiche Weise. Nichts funktioniert hier auf die gleiche Weise. Sie können dich Dinge sehen lassen, Dinge hören lassen. Sie können dich alles glauben lassen, was sie wollen.“

Lana glitt in die Senke hinab, bewegte sich langsam, um Jenny nicht weiter zu erschrecken. Aus der Nähe konnte sie das volle Ausmaß des Zustands ihrer Klassenkameradin erkennen. Jenny hatte Gewicht verloren, ihre Wangenknochen waren scharf gegen die eingefallenen Wangen. Ihre Augen hatten eine wilde, unstete Qualität, die von schlaflosen Nächten und ständiger Angst sprach.

„Jenny, wir müssen hier raus. Wir müssen die anderen finden und Hilfe holen.“

„Es gibt keine Hilfe.“ Jennys Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Verstehst du das nicht? Das ist, was sie tun. Sie nehmen Kinder aus Schulen, aus Familien, und bringen sie hierher, um ihre Spiele zu spielen. Wir sind nicht die Ersten, und wir werden nicht die Letzten sein.“

„Welche Spiele? Was versuchen sie zu tun?“

Jenny sah sie mit einem Ausdruck tiefen Mitleids an, als ob Lana ein Kind wäre, das fragt, warum der Himmel blau ist. „Sie brechen uns. Stück für Stück, Tag für Tag, bis nichts mehr von dem übrig ist, was wir einmal waren. Dann bauen sie uns wieder auf, zu dem, was sie brauchen.“

Die Worte hallten wider, was Lana von den drei Gestalten gehört hatte – Gespräche über Konditionierung und Anpassungsraten, über Versuchspersonen und psychologische Profile. Aber es von Jenny zu hören und die Beweise dafür in ihren hohlen Augen und zitternden Händen zu sehen, machte es real auf eine Weise, wie das Lauschen es nicht getan hatte.

„Aber wir können zurückschlagen,“ sagte Lana, überrascht von der Entschlossenheit in ihrer eigenen Stimme. „Wir können widerstehen, was immer sie mit uns vorhaben.“

Jenny lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Das habe ich auch zuerst gedacht. Das haben wir alle gedacht. Aber sie sind geduldig, und sie sind klug, und sie wissen genau, welche Knöpfe sie drücken müssen, um dich zu brechen. Sie kennen deine Ängste, deine Schwächen, deine tiefsten Geheimnisse. Sie nutzen sie gegen dich, bis du nicht mehr weißt, was real ist.“

Wie durch ihre Worte heraufbeschworen, drang ein neues Geräusch durch den Wald – das mechanische Surren eines Motors, das stetig näher kam. Jennys Augen wurden weit vor Angst, und sie sprang auf die Füße.

„Sie kommen,“ flüsterte sie. „Sie kommen immer, wenn wir anfangen, uns zu viel zu erinnern, wenn wir anfangen, die Teile zusammenzufügen. Du musst laufen, Lana. Du musst weg von mir, bevor sie uns zusammen finden.“

„Ich lasse dich nicht hier.“

„Du verstehst nicht!“ Jenny packte Lanas Schultern, ihre Finger gruben sich mit verzweifelter Stärke ein. „Ich bin der Köder. Sie nutzen uns gegeneinander. Diejenigen, die zuerst brechen, sie machen uns zu Ködern, um die zu fangen, die noch kämpfen. Deshalb bin ich hier, deshalb hast du mich so leicht gefunden. Ich bin die Falle.“

Das Motorgeräusch kam näher, begleitet nun von dem Knacken und Rascheln von etwas Großem, das sich durch das Unterholz bewegte. Jenny ließ Lanas Schultern los und gab ihr einen harten Stoß in Richtung der gegenüberliegenden Seite der Senke.

„Geh! Jetzt! Bevor es zu spät ist!“

Aber selbst als Lana die Erdwand hinaufkletterte, konnte sie die Hoffnungslosigkeit in Jennys Augen sehen. Ihre Klassenkameradin erwartete nicht, gerettet zu werden. Sie erwartete, eingesammelt, verarbeitet, abgelegt zu werden wie all die anderen, die an diesen Ort gebracht und in Einzelteile zerlegt worden waren.

Lana erreichte den Rand der Senke und blickte ein letztes Mal zurück. Jenny war wieder gegen die Wand gesunken, ihr kurzer Moment verzweifelter Energie erschöpft. Sie sah jetzt kleiner aus, zerbrechlicher, wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln, der auf das Unvermeidliche wartet.

„Ich komme zurück für dich,“ flüsterte Lana, obwohl sie nicht sicher war, ob Jenny sie über das näherkommende Motorengeräusch hören konnte.

Dann drehte sie sich um und rannte tiefer in den Wald, mit Mayas Rucksack und dem schrecklichen Wissen, dass sie nur ein kleiner Teil von etwas viel Größerem und Unheimlicherem war, als sie je gedacht hatte. Hinter ihr wurden die mechanischen Geräusche lauter, begleitet von neuen Stimmen – ruhig, professionell, die über ihre neueste Errungenschaft mit dem distanzierten Interesse von Wissenschaftlern sprachen, die Exemplare katalogisieren.

Aber während sie rannte, brannte ein Gedanke hell in ihrem Kopf: sie war noch nicht gebrochen. Was auch immer sie für sie geplant hatten, welche psychologische Konditionierung sie ihr unterziehen wollten, sie hatte noch ihren Willen, ihre Entschlossenheit, ihr Widerstreben, aufzugeben.

Es war nicht viel, aber es war ein Anfang. Und manchmal, in den dunkelsten Orten, war ein Anfang alles, was man brauchte, um den Weg zurück ins Licht zu finden.

Der Wald verschluckte ihre Schritte, während sie tiefer in das Labyrinth aus Kiefern verschwand, nur das Echo von Jennys Warnung und das Versprechen hinterlassend, das sie gemacht hatte, zurückzukehren. Ob sie dieses Versprechen halten konnte, blieb abzuwarten, aber sie würde es versuchen.

Auch wenn es sie umbrachte.

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