Kapitel Eins: Zerbrochenes Glas
Der Geruch von abgestandenem Alkohol haftete an der abblätternden Tapete des winzigen Wohnzimmers. Leere Flaschen waren über den Tisch verstreut, und Zigarettenrauch hing in der stehenden Luft. Schwaches Morgenlicht filterte durch staubige Vorhänge und malte verblasste Formen auf die rissigen Bodenfliesen.
Seraphina Lane—Sera für die wenigen, die sich die Mühe machten, sie zu kennen—bewegte sich lautlos durch den Raum, darauf bedacht, dass die losen Dielenbretter unter ihren Turnschuhen nicht knarrten. Ihr Rucksack hing über einer Schulter, und sie hielt ihren Laptop fest an die Brust gedrückt, ihre Lebensader in einer Welt, die ständig am Rande des Zusammenbruchs stand.
Eine kehlig klingende Stimme durchbrach die Stille.
„Wohin glaubst du, gehst du so früh?“
Ihr Vater hing im Sessel, eine Flasche schlaff in der Hand. Seine blutunterlaufenen Augen schielten sie an, kaum in der Lage, sich zu fokussieren. Die blauen Flecken an ihrem Handgelenk pochten unter den Ärmeln ihres übergroßen Hoodies.
„Zur Vorlesung, Dad,“ sagte sie leise und vermied seinen Blick. „Es ist Montag.“
„College…“ lallte er, seine Lippen verzogen sich zu etwas Grausamem. „Denkst du, du bist besser als ich, weil du so ein großer, schlauer Kopf bist, hm?“
Sera schwieg. Sie hatte längst gelernt, dass Worte nur seine Wut schürten.
„Komm her.“
Ihr Magen zog sich zusammen. „Ich komme zu spät.“
Aber er erhob sich bereits aus seinem Stuhl und taumelte vorwärts. Mit zwei Schritten hatte er ihren Arm gepackt. Der Schmerz schoss bis zu ihrer Schulter, und sie zuckte zusammen.
„Undankbares Gör,“ fauchte er und verstärkte seinen Griff. „All die Jahre, all die Opfer, die ich gebracht habe—“
„Lass mich los!“ fuhr sie ihn an und riss sich los. Ihre Stimme zitterte, und ihr Herz pochte wild in ihrer Brust.
Für einen Moment schien er erstarrt, sein betrunkenes Gehirn verarbeitete ihren Widerstand. Dann kam seine Hand herunter. Schnell. Hart.
Der Schmerz breitete sich über ihre Wange aus, und ihre Sicht verschwamm. Aber Sera weinte nicht. Nicht mehr.
Zufrieden ließ er sie los, stolperte rückwärts in seinen Stuhl und murmelte etwas Unverständliches.
Mit zitternden Händen zog sie ihre Kapuze über den Kopf, nahm ihren Rucksack und verließ wortlos die Wohnung.
Die Luft draußen war scharf und kalt, bissig gegen ihre erhitzte Haut. Sera hielt ihren Kopf gesenkt, während sie zügig durch die Straßen von Cambridge, Massachusetts, in Richtung des MIT-Campus ging. Sie passierte Gruppen von Studenten, die lachten, Kaffeebecher trugen und über Aufgaben diskutierten. Sie lebten in einer Welt, die sie kaum berühren konnte—eine Welt der Sicherheit, Wärme und Gewissheit.
Als sie den Hörsaal erreichte, begann ihre Wange bereits anzuschwellen. Sie zog ihre Kapuze tiefer und ließ ihr kastanienbraunes Haar nach vorne fallen, um die Spur zu verdecken.
Drinnen schrieb Professor Alden bereits Gleichungen an die Tafel. Seine scharfen Augen erkannten sie, als sie sich auf ihren Platz im hinteren Teil des Raumes schlich.
Nach der Vorlesung, als die Studenten hinausgingen, kam Alden auf sie zu. Er war ein drahtiger Mann in seinen späten Fünfzigern mit einer nüchternen Art.
„Sera,“ sagte er leise. „Bleib einen Moment.“
Sie erstarrte, nickte aber.
Als der Raum leer war, sprach er erneut. „Harter Morgen?“
Sie zögerte, bevor sie einmal nickte.
„Du weißt, das Labor steht dir immer offen,“ sagte er sanft. „Niemand wird dich dort stören.“
„Danke, Professor,“ flüsterte sie und umklammerte ihren Rucksack fester.
Das Labor war ihr Zufluchtsort. Reihen von High-End-Computern und halb zusammengebauten Maschinen füllten den Raum. Das Summen der Prozessoren und der schwache Geruch von verbranntem Metall begrüßten sie, als sie sich an ihren gewohnten Platz setzte.
Hier war sie nicht Sera Lane, das Mädchen mit den blauen Flecken. Hier war sie Seraphina, das Programmiergenie.
Zeilen von Code tanzten über ihren Bildschirm, während sie an ihrem neuesten Projekt arbeitete – einem Software-Optimierungsprogramm für Hochleistungsfahrzeuge. Es war schlank, effizient und Lichtjahre voraus gegenüber allem, was derzeit auf dem Markt erhältlich war.
Sie war völlig vertieft, ihre Finger flogen über die Tastatur, als ihr Telefon neben ihr summte.
Theo Grant.
Ihr Magen machte einen kleinen Satz.
Theo war ihr Klassenkamerad in der Highschool gewesen – einst der schlaue Junge mit einem rebellischen Streifen, jetzt der Drahtzieher der Untergrund-Rennszene in Cambridge.
Sie zögerte, bevor sie abhob.
„Hey, Theo.“
„Hey, Sera. Lange her, oder?“ Seine Stimme war glatt, mit einem Hauch von Schalk.
„Was brauchst du?“
Theo lachte. „Direkt zur Sache, wie ich sehe. Hör zu, es geht um dein Programm. Das, an dem du so feinjustierst. Ich habe einen Kunden, der bereit ist, viel dafür zu zahlen.“
„Es ist noch nicht verkaufsbereit“, sagte sie entschlossen.
„Das ist der Punkt – es muss nicht verkauft werden. Nur installiert. Aber das musst du machen. Kundenwunsch.“
Sera runzelte die Stirn. „Warum ich?“
„Weil niemand sonst mit deinem Code so umgehen kann wie du, Genie.“
Sie seufzte und rieb sich die Nasenwurzel. „Theo… ich will mich nicht in deine Welt hineinziehen lassen. Ich versuche, ein Leben aufzubauen – ein echtes Leben.“
„Ich weiß, Sera“, sagte er, seine Stimme jetzt weicher. „Aber hör zu, es geht nicht nur ums Geld. Das ist eine Gelegenheit. Komm heute Nacht zum Rennen. Installiere das Programm. Hol dir dein Geld. Und dann kannst du gehen.“
„Wie viel?“
„Genug, um aus diesem Loch herauszukommen, das du Zuhause nennst.“
Sera stockte der Atem.
„Wo ist das Rennen?“
„Der alte Flugplatz. Mitternacht. Zieh dich warm an – es wird eine lange Nacht.“
Das Gespräch endete, und sie starrte auf ihr Telefon.
Stunden später, zurück in ihrem engen Schlafzimmer, starrte Sera auf den kleinen Haufen Bargeld, den sie gespart hatte. Es war nicht genug – noch nicht.
Ihr Vater war wieder im Wohnzimmer bewusstlos. Leere Flaschen lagen auf dem Boden verstreut.
Sie schloss die Augen und umklammerte ihre Laptoptasche.
Die Wahl war eigentlich keine Wahl.
Sie konnte hier nicht bleiben.
Die Nacht war erfüllt von dröhnenden Motoren, quietschenden Reifen und dem entfernten Knistern von Lautsprechern. Helle Scheinwerfer durchtrennten die Dunkelheit, als sich die Autos auf dem alten Flugplatz aufstellten. Die Menge war elektrisiert – berauscht von Geschwindigkeit und Adrenalin.
Theo entdeckte sie fast sofort. Er lehnte lässig an einem eleganten schwarzen Sportwagen, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Sera!“ rief er grinsend. „Du hast es geschafft.“
Sie ging auf ihn zu und zog ihren Hoodie fester um sich.
„Das hier sollte es wert sein, Theo.“
„Oh, das wird es.“ Er deutete auf ein mattes schwarzes Auto, das ein paar Meter entfernt geparkt war. „Das ist das Biest, an dem du heute Nacht arbeiten wirst.“
Doch bevor sie antworten konnte, ging ein Raunen durch die Menge. Flüstern. Nervöse Blicke.
Dann trat ein Mann ins Blickfeld.
Er war groß, breitschultrig und bewegte sich mit der leisen Selbstsicherheit eines Raubtiers. Sein scharfes Kinn und seine durchdringenden Augen ließen die Luft kälter erscheinen. Er war ganz in Schwarz gekleidet – Lederjacke, enge Hosen, Stiefel, die auf dem Kies knirschten.
Sera stockte der Atem.
Theo beugte sich näher an ihr Ohr.
„Das ist er. Damon Hale.“
Der Name fühlte sich an wie ein Schuss in der Nacht.
Und als Damons Blick sich auf sie richtete, spürte Sera, wie sich etwas tief in ihrer Brust regte – etwas Gefährliches, etwas Unausweichliches.


















































































































































































































