Kapitel 1
Hintergrund
In den alten Annalen des Oro-Kontinents, vor dreizehn Jahrhunderten, ereignete sich ein katastrophaler Krieg, der das Gleichgewicht der Welt für immer veränderte. Die mächtigen Werwolf-Clans, gesegnet mit ihrer göttlichen Gabe der Verwandlung, übermenschlicher Stärke und einer engen Gemeinschaft, brachten das Vampirgeschlecht an den Rand der Auslöschung.
Angesichts des Schreckens der vollständigen Vernichtung, setzten die Vampire in verzweifeltem Zorn ihren ultimativen Fluch frei: Sie kanalisierten die Energie von zehn Millionen verstorbenen Seelen und das reinste Blut als Leitungen, um einen ewigen Fluch auf das Werwolf-Geschlecht zu wirken. Von diesem verfluchten Moment an wurden die mächtigen Werwölfe zu Sklaven des Blutes, für immer abhängig von dessen Konsum für ihr Überleben.
Vor drei Jahrhunderten tauchten die Vampire aus ihrem schattigen Exil mit erneuter List auf. Sie flüsterten giftige Worte in die Ohren der menschlichen Könige und nutzten den Blutfluch der Werwölfe, um Angst in den Herzen der Sterblichen zu entfachen. In einer Nacht, als der Mond der Finsternis wie ein blutrotes Auge am Himmel hing, brach die Menschheit ihren alten Bund mit den Werwölfen und verbündete sich in einem verräterischen Angriff mit den Vampiren. Zwischen zwei Feinden gefangen, sah sich das Werwolf-Geschlecht einer beispiellosen Gefahr gegenüber.
In dieser Stunde der äußersten Verzweiflung rief der große Wolfskönig Lycanthar verbotene alte Magie an und erweckte das urtümlichste Wolfswesen in seiner Seele. Seine Macht überschritt alle Grenzen, als er auf dem Schlachtfeld wie ein Vorbote des Todes das Leben seiner Feinde erntete. Doch der Preis für solche Macht war gnadenlos – der Wolfskönig, vollständig verwandelt, verlor jeglichen Verstand, konnte Freund von Feind nicht mehr unterscheiden und begann ein wahnsinniges Gemetzel an jedem lebenden Wesen in seinem Pfad.
Um ihr Volk zu retten, vereinten sich die drei Legion-Kommandanten, um ihren verlorenen König zu bezwingen und ihn in den tiefsten Kammern der Festung Lycandor, im gefürchteten Eisernen Schlund, zu inhaftieren. Obwohl der Krieg endete und die Vampire erneut in den Schatten verschwanden, loderte der Hass zwischen Werwölfen und Menschen wie ein unauslöschliches Feuer. Die Werwolf-Clans begannen gnadenlose Überfälle auf menschliche Siedlungen, beanspruchten Ressourcen und Bürger gleichermaßen, während die menschlichen Königreiche dahinschwanden und ihre Territorien mit jedem Jahr schrumpften.
Auf diesem Land, das seit dreihundert Jahren in Blut getränkt war, sollte ich, die Prinzessin des Königreichs Eldoria, meinem Schicksal begegnen.
Adelaide
Die Morgensonne fiel schräg durch die Buntglasfenster des Palastkorridors und malte goldene Fäden auf mein burgunderfarbenes Kleid, während ich ging. Die Seide flüsterte über die Marmorböden, und die silbernen Verzierungen an meiner Taille fingen bei jedem gemessenen Schritt das Licht ein.
„Guten Morgen, Eure Hoheit.“ Eine ältere Dienerin machte einen anmutigen Knicks, ihre Augen warm vor echter Zuneigung.
Ich neigte meinen Kopf mit einem sanften Lächeln, meine violetten Augen – ein Merkmal, das mich in unserer Familie immer als anders gekennzeichnet hatte – trafen kurz die ihren. Im gesamten Korridor hielten die Diener inne, um respektvolle Grüße zu überbringen, und ich erwiderte jeden mit der Höflichkeit, die mein Vater mich gelehrt hatte. Solche kleinen Gesten der Freundlichkeit waren kostbar in diesen dunklen Zeiten, in denen Hoffnung selbst ein Luxus war, den sich nur wenige leisten konnten.
Mein Ziel lag am Ende des Korridors: eine unscheinbare Eichentür, versteckt im abgelegenen östlichen Flügel. Wenige wussten von der Existenz dieser verborgenen Kammer, und noch weniger hatten einen Grund, sie zu betreten. Ich klopfte leise und wartete auf die Erlaubnis, bevor ich die schwere Tür öffnete.
Die Atmosphäre im Inneren traf mich sofort – dicht mit Spannung und beschwert von Angst. Vater saß am Fenster, sein Gesicht gezeichnet von schlaflosen Nächten und unmöglichen Entscheidungen. Mein ältester Bruder Alexander stand steif neben dem Kamin, sein Kiefer vor unterdrücktem Frust angespannt. Leonard, mein gelehrter Bruder, hielt ein altes Buch fest, Sorge tief in seine Züge gegraben.
Im Zentrum des Raumes stand Hohepriester Cedric, seine blassen Gewänder mit mystischen Runen verziert, während seine Tochter Thalia hinter ihm wartete, ihr goldenes Haar fing das wenige Licht ein, das in die düstere Kammer drang.
Eine gewaltige Kristallkugel dominierte die Mitte des Raumes, ihre Tiefen wirbelten mit einem unheimlichen Nebel, der in einem gespenstischen blauen Glanz pulsierte. Hohepriester Cedric hielt seine Hände über der Oberfläche schwebend, die Augen geschlossen in tiefer Konzentration, Schweißperlen auf seiner Stirn, während er uralte prophetische Beschwörungen in der alten Sprache flüsterte.
Das Licht der Kugel wurde plötzlich schwächer, und in ihren wolkigen Tiefen begannen sich Bilder zu formen—eine Burg, die in Flammen aufgeht, Menschen, die in Panik vor verfolgenden Werwölfen fliehen. Der Hohepriester öffnete seine Augen, seine Stimme heiser und schwer von Vorahnung: „Ich habe Eldorias letzte Stunde gesehen. Innerhalb von drei Monaten werden die Werwolfsarmeen unsere Stadtmauern durchbrechen. Unser Volk wird zu Sklaven und die königliche Blutlinie wird für immer ausgelöscht.“
Vater schloss die Augen in Qual, während Alexanders Faust mit kaum unterdrückter Wut gegen die Wand schlug. Leonard schloss sein Buch mit einem schweren Seufzer. „Gibt es wirklich keine Hoffnung mehr?“
Der Blick des Hohepriesters kehrte zur Kristallkugel zurück, und plötzlich verschoben sich die Nebel und formten meine Silhouette, umgeben von einem geheimnisvollen silbernen Lichtschein. „Das Schicksal offenbart einen unerwarteten Weg“, sagte er mit zitternder Stimme. „Prinzessin Adelaide muss die Werwolf-Territorien infiltrieren, um ihre tödlichen Schwächen und inneren Geheimnisse zu ergründen. Nur dies bietet uns Rettung.“
Schweigen legte sich wie ein Schleier über den Raum. Alle Augen richteten sich auf mich, und ich spürte das Gewicht des Schicksals, das sich wie ein Bleimantel auf meine Schultern legte.
„Unmöglich!“ Alexanders Stimme schnitt durch die Stille wie ein Messer. „Ich werde meine Schwester nicht in den Tod schicken! Besser, ich führe unsere Armeen in einem letzten Gefecht!“
Leonard trat dringend vor. „Die Werwölfe hegen absoluten Hass gegen königliches Blut. Sollten sie Adelaides Identität entdecken, würde sie Schicksale erleiden, die weit schlimmer sind als der Tod.“
Vater schüttelte den Kopf in Qual. „Ich kann meine geliebteste Tochter nicht opfern...“
„Vater“, sagte ich und trat mit einer Ruhe vor, die selbst mich überraschte, „wenn dies die einzige Hoffnung unseres Königreichs darstellt, dann nehme ich diese Bürde willentlich an. Unser Volk verdient eine Zukunft, nicht nur eine ehrenvolle Niederlage.“
Thalia sprach zum ersten Mal, ihre Stimme sanft, aber klar: „Eure Hoheit, was ist mit dem Blutmondmal auf eurem Rücken? Es zeugt von königlicher Herkunft—die Werwölfe würden es sofort erkennen.“
Der Hohepriester überlegte ernsthaft. „Ich kann Verbergungsmagie wirken, um sowohl das Mal als auch ihre auffälligen Merkmale zu verbergen. Solche Zauber müssen jedoch regelmäßig erneuert werden, damit sie nicht allmählich verblassen und versagen.“
Vater erhob sich unsicher, seine Hände zitternd. „Selbst mit solchen Vorsichtsmaßnahmen kann ich es nicht ertragen, dich allein in solche Gefahr zu schicken...“
Ich kniete vor ihm nieder und nahm seine wettergegerbten Hände in meine. „Vater, wir haben keine Alternative. Vertraue mir—ich werde einen Weg finden zu überleben und mit der Hoffnung zurückzukehren, die unsere Familie und unser Königreich dringend benötigen.“
Thalia trat vor. „Eure Majestät, gewährt mir die Erlaubnis, die Prinzessin zu begleiten. Ich habe Teile der magischen Künste meines Vaters gemeistert und kann Ihre Hoheit schützen, während ich die Verbergungszauber aufrechterhalte.“
Nach langen Momenten qualvoller Debatte und schmerzlicher Überlegungen sanken Vaters Schultern in Niederlage. „Möge die Mondgöttin euch beide beschützen... Bereitet euch vor, meine Tochter. Das Schicksal hat euch als sein Werkzeug auserwählt.“
Ich erhob mich und begegnete seinem Blick mit Stahl in meinen violetten Augen. „Für Eldorias Wohl bin ich bereit, allem zu begegnen, was auf mich wartet.“
Die Kristallkugel pulsierte erneut mit diesem ätherischen Licht, und ich wusste, dass mein altes Leben—das behütete Dasein einer geliebten Prinzessin—zu Ende war. Was in den Werwolf-Territorien vor mir lag, würde jede Faser meines Seins auf die Probe stellen, aber ich würde nicht wanken. Zu viele Leben hingen vom Erfolg dieses verzweifelten Unterfangens ab.
Der Schatten des Schicksals hatte sich auf meinen Weg gelegt, und ich würde ihn beschreiten, egal wohin er führte.
