Kapitel 6: Fremder

Cerceis Perspektive

„Bitte, ich flehe dich an, finde in deinem Herzen die Kraft, mir zu vergeben“, schluchzte ich, Tränen strömten über mein Gesicht. Plötzlich verwandelten sich ihre Augen in ein unheilvolles Gelb, ihre Hände wurden zu wilden Pranken, bedeckt mit rasiermesserscharfen Krallen.

Instinktiv hob ich die Hände, um mein Gesicht zu schützen, als sie sich auf mich stürzte und mit der Kraft eines wilden Tieres angriff. Verzweifelt und vor Schmerz schreiend versuchte ich verzweifelt, ihren bösartigen Schlägen auszuweichen.

„Du bist nichts weiter als eine niedere Dienerin! Vergiss niemals deinen Platz!“ knurrte sie und setzte ihre gnadenlosen Angriffe fort. Tränen strömten über mein Gesicht, während ich versuchte, ihren dolchartigen Nägeln auszuweichen.

„Bitte, ich flehe dich an, hör auf!“ schrie ich und bettelte, meine Stimme klang wie ein verzweifeltes Flehen inmitten ihrer fortwährenden Angriffe. Meine Schreie hallten in der Luft wider und vermischten sich mit dem Klang meines eigenen Leidens.

„Wien!“ Die befehlende Stimme von Monsieur durchbrach die schreckliche Szene, ihre Tiefe forderte Aufmerksamkeit und Gehorsam.

„Lass sie los“, hallte die befehlende Stimme des Alphas durch die Luft.

Wien stieß ein tiefes Knurren aus, ließ mich aber widerwillig los, sodass ich zitternd und tränenüberströmt zu Boden sank. Monsieur Remus näherte sich schnell, und Besorgnis zeigte sich auf seinem Gesicht.

„Kehre zur Versammlung zurück, Wien“, sprach Monsieur eisig zu seiner Tochter, sein Ton duldete keinen Widerspruch.

Wien verwandelte sich zurück in ihre menschliche Gestalt, fasste sich und ging, mich in den Nachwirkungen ihrer Aggression zurücklassend.

„Geht es dir gut, Cercei?“ fragte Monsieur sanft und bot mir seinen Mantel an, um meine tränenüberströmte und blutige Gestalt zu bedecken. Zärtlich half er mir auf die Beine, seine Berührung überraschend sanft angesichts unserer mangelnden Interaktion während meines Lebens.

„Bitte, Monsieur, es war ein unbeabsichtigter Fehler. Ich wollte das alles nie. Ich flehe um Vergebung“, bat ich, meine Stimme zitterte vor Reue.

„Beruhige dich jetzt. Du solltest in dein Zimmer zurückkehren und deine Wunden versorgen“, antwortete er, seine Stimme eine Mischung aus Mitgefühl und Befehl. Seine aufrichtige Besorgnis überraschte mich, und unsere Nähe fühlte sich wie ein neues und ungewohntes Ereignis an, das ich nie erwartet hatte.

„Monsieur, man verlangt nach Ihrer Anwesenheit…“ Die Stimme meines Vaters verstummte, als er mich erblickte. Seine Augen fixierten mein Gesicht und fielen dann auf das Blut, das meine Hände befleckte.

„Cercei“, murmelte er, Besorgnis zeigte sich auf seinen Zügen. Hastig wischte er die Tränen aus meinen Augen und untersuchte meine Verletzungen. Monsieur Remus räusperte sich und zog sich diskret zurück, um meinem Vater Raum zu geben, sich um mich zu kümmern.

Überwältigt von Emotionen brach ich in unkontrollierbares Schluchzen aus und klammerte mich an meinen Vater, um Trost zu finden. Er versuchte, mich zu beruhigen, seine Anwesenheit wirkte wie eine heilende Berührung für meinen gebrochenen Geist. Doch die Tränen flossen weiter, strömten unaufhörlich über meine Wangen.

„Ich wollte Lord Adolphus nie beleidigen, Papà. Er hat mich berührt, und ich hatte Angst, und…“ Meine Worte verstummten, als mein Vater mich enger in seine Arme zog und festhielt.

„Schhh“, beruhigte er mich, seine Anwesenheit eine Quelle der Erleichterung inmitten meines Aufruhrs.

Aus dem Nichts erblickte ich die Gestalt unseres Alphas in einiger Entfernung. Ich warf einen flüchtigen Blick auf Monsieur Remus, der mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck vor uns stand, eine geheimnisvolle Präsenz im sich entfaltenden Drama.

„Lass uns hineingehen, Hènri“, erklärte Monsieur Remus, sein Tonfall ohne Wärme.

„Monsieur, darf ich bei meiner Tochter bleiben? Sie ist verletzt und aufgewühlt“, bat mein Vater, seine Stimme von Besorgnis durchdrungen.

„Ich benötige Ihre Anwesenheit drinnen. Ich werde Cecè rufen, damit sie sich um sie kümmert“, antwortete Monsieur Remus, seine Worte vermittelten eine kalte Distanz.

„Es wird schon gehen, Papà. Bitte geh jetzt“, versicherte ich ihm und schenkte ihm ein Lächeln voller Zuversicht. Trotz seiner Sorge und Zögern erhob er sich widerwillig und folgte Monsieur Remus zurück in die Villa.

„Cercei...“ rief er sanft meinen Namen.

„Geh!“ beharrte ich, meine Stimme fest. Er warf weiterhin besorgte Blicke in meine Richtung, während er sich entfernte. Ich wusste, dass er mich nicht verlassen wollte, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er meinetwegen Konsequenzen tragen müsste.

Ich hob meinen Blick zum einsamen Himmel, dessen Dunkelheit und Leere den Schmerz in meinem Herzen widerspiegelten. Nur der einsame Mond bot Gesellschaft, sein blasses Leuchten ein stiller Zeuge meines inneren Aufruhrs. Ich sehnte mich danach, meine aufgestaute Wut herauszulassen, zu schreien und sie herauszuschleudern, bis ich Erleichterung verspürte. Es schien, als würde das Schicksal jedes Mal, wenn ich einen Anflug von Glück fand, eingreifen, um mein flüchtiges Glück zu zerstören.

Verzehrt von einem Strudel aus Wut und Verzweiflung gab ich der rohen Wut nach, die meinen zerbrechlichen Verstand verzehrte. Mein Körper verzerrte sich und verwandelte sich, Knochen knackten und formten sich neu, als ich mich in einen furchterregenden Wolf verwandelte. Meine Kleidung zerriss, mein Körper wuchs, und meine einst grünen Augen wurden feurig rot. Meine Hände verwandelten sich in Pranken, jede Spitze endete in rasiermesserscharfen Krallen. Dann, mit einem mächtigen Heulen, begrüßte ich meinen neuen tierischen Instinkt und verwandelte mich in einen atemberaubenden Wolf mit reichhaltigem braunem Fell und brennend roten Augen.

Getrieben von einem überwältigenden Drang, kurzzeitig zu entfliehen, rannte ich mit kraftvollen Bewegungen in das Herz des Waldes. Der kalte Wind stach in mein dichtes Fell und fegte das Chaos aus meinem aufgewühlten Geist. Die Richtung war mir egal, mein einziges Ziel war es, Abstand zwischen mich und das Leid zu bringen, das mein Dasein überwältigt hatte.

Plötzlich hielt ich an und entdeckte eine abgelegene Felshöhle im Herzen des Waldes. Schon aus der Ferne konnte ich das sanfte Plätschern von Wasser in der Höhle hören. Von einer unsichtbaren Kraft geleitet, trat ich vorsichtig ein und kehrte so langsam wie möglich in meine menschliche Form zurück, bis die Verwandlung schließlich verblasste.

In der Höhle offenbarte sich eine wohltuende heiße Quelle, deren einladendes Wasser mich rief. Langsam näherte ich mich dem Wasser, spürte, wie seine Wärme mich umhüllte und den Fragmenten meines verwundeten Körpers Trost spendete. Als ich mich eintauchte, heilte die Berührung des Wassers meine Wunden und linderte den Schmerz, der mich zuvor ergriffen hatte.

In diesem friedlichen Moment wehte ein ungewöhnlicher Geruch durch die Luft und weckte etwas in mir. Er war sowohl vertraut als auch fremd und entfachte meine Sinne. Ich sah mich um, versuchte herauszufinden, woher dieser geheimnisvolle Duft kam, aber leider konnte ich nur Felsen sehen.

Kopfschüttelnd schob ich es als eine Einbildung meines Geistes beiseite. Ich tauchte vollständig ins Wasser ein und fand Trost darin, frische Luft einzuatmen, als ich wieder auftauchte. Doch als ich meine Augen öffnete, war ich fassungslos – ein riesiger und prächtiger Wolf stand direkt vor mir und raubte mir den Atem.

Bedeckt mit Fell so rein wie frisch gefallener Schnee und mit Augen so rot wie vergossenes Blut, hatte er eine fesselnde und geheimnisvolle Präsenz. Überrascht und ängstlich reagierte ich schnell und verwandelte mich zurück in meine Wolfsform. Ein wortloser Austausch folgte, als sich unsere Blicke trafen und eine tiefe Verbindung formte, die über Worte hinausging.

Der Duft hatte ein verborgenes Gefühl tief in meinem Herzen geweckt, einen Teil von mir entfesselt, den ich zuvor nicht erkundet hatte, eine rohe und ungebändigte Wildheit. Überwältigt von unbeschreiblichen Gefühlen rannte ich sofort los und distanzierte mich von dem geheimnisvollen Wolf. Die Echos seiner Verfolgung blieben in meinen Ohren, doch der Wald war mein sicherer Hafen, und ich kannte seine Pfade.

Nach einem scheinbar endlosen Lauf verlor ich schließlich den majestätischen Wolf aus den Augen. Mein Kopf pochte heftig, als ob er jeden Moment explodieren könnte, das Gewicht der Ereignisse des Tages drückte auf mich. Unklare Emotionen brodelten in mir, ließen mich sowohl erschöpft als auch leer zurück. Mit jedem Schritt fühlte es sich an, als würde ich auf Luft gehen, losgelöst von der realen Welt, während ich mich den imposanten Toren meiner eigenen persönlichen Hölle, dem Crescent-Anwesen, näherte.

Als ich zu dem massiven Tor aufsah, schien es, als würde es mich zurück in das Anwesen einladen, ein prächtiges Anwesen des Chaos und Leidens, eine klare Erinnerung an die Dunkelheit, die mein Leben seit achtzehn Jahren verzehrte.

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