2. Fall von Luna

|| Lilacs Perspektive ||

„Du Hexe!“ fauchte ich, meine Stimme ein Gemisch aus Schmerz und Wut. Mein Wolf heulte in mir, ihr Kummer spiegelte meinen eigenen wider.

Doch Kaels Gesichtsausdruck blieb unbewegt, seine Loyalität fest an Coco gebunden. Die Frau, die mein Leben zerstört hatte, die mir alles genommen hatte, stand hinter ihm, ihr hämisches Grinsen eine grausame Erinnerung an meine Machtlosigkeit.

Tränen strömten über mein Gesicht, als ich auf die Leichen meiner Eltern blickte, deren Leben so grausam, so herzlos ausgelöscht worden waren. Das Mädchen, das einst an Märchen und ein glückliches Ende geglaubt hatte, war verschwunden.

„Sag mir, Kael, war sie es wert, die gesamte königliche Beta-Linie zu schlachten?“ schrie ich.

Kael stand aufrecht, seine königliche Haltung unnachgiebig, seine goldenen Augen kalt und distanziert. Wie konnte es nur so weit kommen? Wie konnte der Mann, dem ich geholfen hatte, ein Imperium zu errichten, zum Architekten meines Untergangs werden?

„Antworte mir, Alpha-König. Oder siehst du immer noch kein Blut an deinen Händen? Das Blut deines eigenen Betas...“ meine Stimme brach.

Ich starrte ihn an, mein Herz ein Schlachtfeld aus Trauer und Wut. Ich war es, die an seiner Seite gestanden hatte, es war meine Familie, die für ihn gekämpft, für ihn geblutet und ihm den Thron gesichert hatte. Meine Eltern, stolz und unbeirrbar, hatten Armeen gegen die dunklen Hexen an der Grenze geführt, ihre Opfer hatten den Frieden unserer Lande gesichert. Und was hatte es ihnen eingebracht? Silberne Ketten und einen Verrätertod. Was hatte es mir eingebracht? Verrat. Demütigung. Eine Liebe, die zu Asche geworden war.

„Sie haben Tag und Nacht für dich gekämpft. Mein Vater hätte beinahe seinen Wolf verloren, um unser Königreich zu schützen...“ schrie ich. Aber er blieb stumm, als könnten meine Worte ihn nicht einmal erreichen.

„Sie waren Verräter,“ sagte Kael schließlich.

„Verräter? Nur weil Coco das behauptet? Welche Beweise hast du?“ knurrte ich.

„Oh je. Es sieht so aus, als hätte unsere Luna den Verstand verloren,“ höhnte Coco, und er ließ sie gewähren.

Meine Gedanken schweiften zu dem Tag, an dem Coco im Palast angekommen war. Sie war damals ein zerbrechliches Wesen gewesen, ihre Augen weit vor Angst, ihre Hände zitternd, als sie vor mir kniete. „Bitte,“ hatte sie gefleht, ihre Stimme zitternd, „lass mich bleiben. Ich habe keinen anderen Ort, zu dem ich gehen kann.“ Ich war so dumm gewesen, so töricht. Ich hatte sie als eine verlorene Seele gesehen, die Schutz brauchte, nicht die Viper, die sie wirklich war. Kael hatte sie aufgenommen, nicht als Dienerin, sondern als seine Konkubine.

Und nun kniete ich vor ihr. Die Ironie war mir nicht entgangen. Die Frau, die ich einst bemitleidet hatte, stand nun über mir, ihre zarten Züge zu einer Maske des Triumphs verzerrt.

„Also erinnerst du dich immer noch daran, dass ich die Luna und deine Königin bin,“ knurrte ich.

„Bist du das?“ Cocos Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

„War ich dir jemals etwas wert?“ Die Frage schrie in mir, zerriss mich innerlich wie Krallen. „War irgendetwas davon echt?“

Kaels Blick flackerte, nur für einen Moment, ein Schatten von etwas Unlesbarem ging durch seine goldenen Augen. Reue? Schuld? Ich wusste es nicht, und es war mir auch egal.

Ein bitteres Lachen stieg in meiner Kehle auf, roh und von Trauer durchzogen.

„Sag mir, Kael,“ flüsterte ich, meine Stimme ein Gespenst dessen, was sie einmal war.

„War es das wert? War sie das Blut wert? Schau dich um... schau auf das Blut an deinen Händen.“ Meine Augen wandten sich zu Coco, deren Grinsen nur noch tiefer wurde, Zufriedenheit glitzerte in ihren dunklen Augen.

Kaels Kiefer spannte sich an, aber er sagte nichts. Das Schweigen war lauter als jede Antwort, die er mir hätte geben können.

Coco trat näher, ihr Seidenkleid raschelte über den Marmorboden.

„Du hättest gehen sollen, als du die Chance dazu hattest,“ sinnierte sie, ihre Stimme wie Honig mit Gift versetzt. „Aber ich nehme an, du warst immer zu stur für dein eigenes Wohl. Jetzt schau dich an. Gebrochen. Besiegt. Allein.“

Allein. Das Wort hallte in meinem Kopf wider, eine grausame Verspottung von allem, was ich einst gehabt hatte. Aber sie irrte sich. Ich war nicht gebrochen. Noch nicht. Mein Herz schlug noch, meine Lungen holten noch Atem, und solange ich lebte, lebte auch meine Rache. Ich würde nicht fallen. Nicht hier. Nicht so.

Ich hob mein Kinn und begegnete Cocos Blick direkt, ließ die Wut in meinen Augen so hell brennen wie das Feuer in meiner Seele.

„Genieß deinen Sieg, solange du kannst“, murmelte ich, meine Stimme fest trotz des Tumults in mir. „Denn eines Tages, Coco, wirst du vor mir knien. Und wenn dieser Tag kommt, werde ich dafür sorgen, dass du dich an jeden Tropfen Blut erinnerst, den du vergossen hast.“

Ihr Grinsen erstarb für den Bruchteil einer Sekunde, ein Hauch von Unsicherheit huschte über ihr Gesicht, bevor sie es mit einem höhnischen Lachen überspielte. „Leere Drohungen von einer gefallenen Königin. Wie erbärmlich.“

Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Ein tiefes, wütendes Knurren entfuhr meiner Kehle, als ich auf Coco losstürzte, mein Wolf übernahm. Meine Klauen zerschnitten die Luft, meine Zähne fletschten, und für einen Moment sah ich Angst in ihren Augen aufblitzen.

Kael war zu geschockt, um schnell genug zu reagieren. Ich stieß ihn heftig, meine Pfote schlug gegen seine Brust und warf ihn auf den Rücken. Dann war Coco unter mir – klein, zerbrechlich, gefangen unter meinem Gewicht. Ich starrte auf sie herab, mein Knurren hallte durch den Saal.

Das war alles ihre Schuld. Sie hatte diesen Albtraum erschaffen. Sie hatte Kaels Verstand verdreht, meine Familie zerstört, mir alles genommen.

Dann packte Kaels Hand mein Hinterbein und riss daran. Ich prallte gegen die Wand, Knochen knackten, als die Wucht mich zurück in menschliche Form zwang. Ich keuchte, meine Rippen schmerzten, mein Blick verschwamm, als ich versuchte, mich aufzurichten.

Auf der anderen Seite des Raums stand Kael über Coco wie ein Ritter in glänzender Rüstung, seine Augen vor Wut funkelnd.

Auf mich gerichtet.

Ich spuckte Blut auf den Marmorboden und lachte – ein raues, gebrochenes Geräusch.

„Natürlich“, brachte ich hervor. „Du würdest immer sie wählen.“

„Ich entziehe dir den Titel meiner Luna“, erklärte er, seine Worte trafen mich wie ein physischer Schlag.

„Und ich lehne dich als meine Gefährtin ab. Ich trenne unser Band.“ Er wandte sich von mir ab, seine Aufmerksamkeit ganz auf Coco gerichtet, als er sie vom Boden aufhob und schützend in seinen Armen hielt. Die Zärtlichkeit in seiner Berührung war ein Dolch in meinem Herzen, eine Erinnerung an das, was ich verloren hatte.

„Was sollen wir mit ihr machen, Alpha?“ fragte einer der Krieger, seine Stimme emotionslos.

Kael sah mich nicht einmal an, als er antwortete, sein Ton so kalt wie der Winterwind. „Ihr könnt mit ihr machen, was ihr wollt. Und wenn ihr fertig seid, werft sie weg.“

Seine Worte zerschmetterten, was von meiner Seele noch übrig war. Ich hatte ihm alles gegeben – und das war mein Lohn. Verrat. Verlassenheit. Tod. Die Krieger bewegten sich auf mich zu, ihre Augen glänzten vor Bosheit, aber ich kroch bereits davon, mein Körper zitterte vor Erschöpfung und Verzweiflung.

Meine Hand stieß gegen etwas Kaltes, Metallisches. Ein Dolch, vergessen auf dem Boden. Ich griff ihn fest, das Gewicht erdete mich im Moment. Meine Sicht verschwamm vor Tränen, als ich die Klinge an meinen Bauch drückte.

„Mondgöttin“, flüsterte ich, meine Stimme brach.

„Vergib mir. Ich war nicht die Luna, die du erwartet hast. Vergib mir, Mama, Papa. Auch euch habe ich enttäuscht.“

Eine einzelne Träne rollte über meine Wange, als ich die Augen schloss, der Dolch bereit, mein Leiden zu beenden. Wenn ich eine zweite Chance bekäme, schwor ich still, würde ich diesen Weg niemals wieder gehen. Ich würde nie wieder so leicht vertrauen, so blind lieben. Ich würde aus der Asche meines zerbrochenen Lebens auferstehen, stärker, wilder, ungebrochen.

Aber als die Klinge meine Haut berührte, entzündete sich ein Funken Trotz in mir. Nein. Ich würde ihnen nicht die Genugtuung meines Todes geben. Nicht so. Nicht, solange sie noch atmeten. Mit zitternder Hand senkte ich den Dolch, mein Entschluss verhärtete sich.

Göttin, war das deine Gerechtigkeit? Ich war die Luna-Königin und das war der Tod, den ich verdiente! Langsam fiel ich in einen kalten, dunklen Ort.

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