8. Entschuldigung des Königs

|| Lilacs Perspektive ||

Die Fahrt nach Hause war ein verschwommener Wirbel aus Straßenlaternen und rasenden Gedanken. Meine Knöchel schmerzten von dem festen Griff um das Lenkrad, das Leder knarrte unter meinem verzweifelten Griff. Der Schaden war angerichtet. Kaels öffentlicher Zusammenbruch, der Wolfsbann-Skandal, die Presse, die wie Aasgeier herumschwirrte – alles war jetzt draußen, verewigt in Schlagzeilen und Klatschspalten.

Und dann war da noch ich.

Seine zukünftige Luna. Die Frau, die er vor dem ganzen Königreich gedemütigt hatte.

Ein bitteres Lachen wollte mir fast entweichen. Wie schnell die Mächtigen fallen.

Aber unter dem Zorn, unter dem Stachel des Verrats, pulsierte etwas anderes in mir – Erleichterung.

Denn nun, endlich, hatte ich meine Chance.

Während Kael versuchte, seinen Ruf zu retten, konnte ich verschwinden. Keine Erwartungen mehr. Kein Verstellen mehr. Nur... Freiheit.

Der vertraute Anblick unseres Hauses sollte mich trösten. Stattdessen fühlte es sich wie ein vergoldeter Käfig an, aus dem ich auszubrechen im Begriff war.

Ich schaffte es kaum, den Motor abzustellen, bevor die Haustür aufgerissen wurde.

Mama stürmte heraus, ihr Gesicht blass, ihre Hände griffen schon nach mir, bevor ich überhaupt aus dem Auto steigen konnte.

„Oh, mein Schatz“, flüsterte sie und zog mich in eine erdrückende Umarmung. Ihr Duft – Vanille und ein Hauch von Lavendel – beruhigte mich normalerweise. Aber heute Nacht spürte ich die Anspannung in ihren Armen, wie ihre Finger an meinem Rücken zitterten.

Sie hatte die Nachrichten gesehen.

Natürlich hatte sie das.

„Es geht mir gut, Mama“, murmelte ich in ihre Schulter und zwang meine Stimme ruhig zu bleiben. Lügen, Lügen, Lügen. Aber was hätte ich sonst sagen sollen? Dass mein Verlobter gerade öffentlich jede Illusion unserer perfekten Verbindung zerstört hatte? Dass ich froh darüber war?

Hinter uns quietschten Reifen auf dem Kies.

Papa.

Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass er es war – seine Wut strahlte so stark aus, dass sie fast zum Ersticken war. Als ich mich endlich aus Mamas Umarmung löste, sah ich ihn auf uns zugehen, sein Kiefer so fest zusammengepresst, dass ich fürchtete, seine Zähne könnten brechen.

Seine Augen – normalerweise so warm, wenn sie mich ansahen – waren schwarz vor Zorn.

„Steig ins Auto“, knurrte er.

Keine Begrüßung. Kein Zögern. Nur drei Worte, scharf wie eine Klinge.

„Wir sind mit dieser Verlobung fertig.“

Ich blinzelte.

In meinem ganzen Leben hatte ich meinen Vater noch nie so gesehen. Er war der Ruhige, der Beständige, der Mann, der Frieden zwischen verfeindeten Rudeln nur mit ein paar gut platzierten Worten aushandeln konnte. Aber jetzt?

Jetzt sah er so aus, als wäre er bereit, die Welt für mich niederzubrennen.

Stolz erfüllte meine Brust, wild und unerwartet.

Das war Loyalität.

Die Fahrt zum Palast war still, die Spannung im Auto so dicht, dass ich kaum atmen konnte. Papas Griff um das Lenkrad war weißknöchelig, sein Blick starr nach vorne gerichtet wie ein Raubtier, das seine Beute fixiert. Mama saß neben ihm, ihr Rücken gerade, ihr Ausdruck undurchdringlich.

Und ich?

Ich starrte aus dem Fenster, beobachtete, wie die Bäume vorbeizogen, mein Geist raste.

Was werden sie tun?

Was werde ich tun?

Das Reventhorn-Schloss erhob sich vor uns, seine Türme schnitten wie gezackte Zähne in die Dämmerung. Die massiven Tore – verdrehtes Eisen und Einschüchterung, getarnt als Eleganz – schwangen vor uns auf. Das königliche Wappen glänzte im Fackelschein, eine stumme Erinnerung an die Macht, die wir herausfordern wollten.

Die Wachen erstarrten, als wir uns näherten. Ihre Gesichter waren sorgfältig ausdruckslos, aber ihre Finger zuckten in Richtung ihrer Waffen.

Sie waren nicht nur vorsichtig, weil mein Vater der königliche Beta war.

Sie waren vorsichtig, weil Benson Blackwood nicht nur ein Name war, er war eine Legende. Ein Kriegsheld, der für dieses Rudel mehrmals geblutet hatte, als sie zählen konnten. Und heute Nacht?

Heute Abend war er nicht hier als treuer Untertan.

Er war hier als Vater.

Die Flüstereien begannen in dem Moment, als wir eintraten. Diener senkten ihre Köpfe, Adlige hielten mitten im Gespräch inne, ihre Augen huschten zu uns, bevor sie schnell wieder wegsahen.

Alle wussten, warum wir hier waren.

Und sie alle warteten darauf, wie das enden würde.

Der Thronsaal war genauso, wie ich ihn in Erinnerung hatte – kalt, einschüchternd, darauf ausgelegt, selbst den stärksten Wolf klein erscheinen zu lassen. Die Decken erstreckten sich endlos nach oben, die Wände waren mit Wandteppichen geschmückt, die die Geschichte unseres Rudels in Fäden aus Gold und Blut erzählten.

Am anderen Ende saßen Alpha König Darius und Luna Cassandra steif auf ihren Thronen, ihre Gesichter unergründlich.

Aber ich kniete nicht nieder.

Nicht dieses Mal.

„Benson.“ Die Stimme des Königs durchschnitt die Stille wie eine Peitsche. Ruhig. Kontrolliert. Doch darunter brodelte etwas Dunkleres. „Was führt dich hierher?“

Mein Vater zuckte nicht zusammen. „Mit allem gebührenden Respekt, mein König“, sagte er, seine Stimme war wie Stahl in Samt gehüllt, „wir möchten die Verlobung von Kael und meiner Tochter auflösen.“

Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend.

Ich sah es – wie Luna Cassandra’s Atem stockte, wie ihre Finger sich in die Armlehnen ihres Thrones gruben. Wie der Kiefer des Königs sich leicht verspannte, bevor er sich wieder in diese ärgerliche Maske der Gelassenheit glättete.

„Benson“, begann er, sein Ton fast... flehend. „Ich höre deine Bedenken. Aber überlege es dir noch einmal. Kael ist kein Mann, der leicht die Beherrschung verliert. Die Umstände—“

„Meine Tochter ist jung und unschuldig.“ Dads Stimme war leise, aber die Bedrohung darin war unmissverständlich. „Sie ist nicht dafür gemacht.“

Luna Cassandra lehnte sich vor, ihre Augen wurden weicher, wie immer, wenn sie etwas wollte. „Benson, bitte. Kael hat einen Fehler gemacht, das bestreite ich nicht. Aber er ist ein guter Mann. Ein guter Anführer. Er wird Wiedergutmachung leisten.“

Mama trat dann vor, ihre Stimme kühl, ihre Worte bedacht.

„Nichtsdestotrotz“, sagte sie, „sollte er seine Gefährtin nicht im Stich lassen.“ Eine Pause. Eine Klinge, verborgen in Seide. „Selbst im Schmerz soll ein wahrer Gefährte beschützen. Wertschätzen. Eine Gefährtin kommt immer zuerst – besonders, wenn sie Luna werden soll.“

Das Wort Gefährtin hing wie ein Fallbeil in der Luft.

Es kostete mich alles, nicht zusammenzuzucken.

Denn das war doch der Kern der Sache, oder?

Kael hatte mich nie wie eine Gefährtin behandelt.

Nur wie eine Spielfigur.

Der König atmete lang und langsam aus, bevor er schließlich von seinem Thron hinabstieg. Seine Stiefel hallten auf dem Marmor, als er den Abstand zwischen uns überbrückte und nur wenige Zentimeter vor mir stehen blieb.

Und dann – zum ersten Mal in meinem Leben – sah ich etwas in seinen Augen, das keine Berechnung war.

Reue.

„Kael hat einen Fehler gemacht“, gab er zu, seine Stimme jetzt weicher, fast... menschlich. „Und ich werde dafür sorgen, dass er die Verantwortung übernimmt.“

Dann, zu meinem Erstaunen, wandte er sich an mich.

„Ich entschuldige mich in seinem Namen, Lilac.“ Sein Blick bohrte sich in meinen, suchte nach etwas. Vergebung? Unterwerfung? „Vergib ihm dieses eine Mal. Meinetwegen.“

Die Worte waren ein Schlag.

Ein Befehl, getarnt als Bitte.

Denn das war es doch, oder? Ein König entschuldigte sich nie – es sei denn, er hatte keine andere Wahl. Und Darius Reventhorn brauchte mich. Brauchte die Loyalität meiner Familie. Brauchte dieses Bündnis, um zu bestehen.

Meine Finger krallten sich zu Fäusten, die Nägel gruben sich in meine Handflächen.

Manipulativer Bastard.

Aber welche Wahl hatte ich?

Also lächelte ich. Süß. Demütig. Die perfekte zukünftige Luna.

„Natürlich, mein König“, murmelte ich, senkte den Kopf gerade so weit, dass es gehorsam wirkte. „Ich verstehe.“

Und innerlich?

Innerlich plante ich bereits meine Flucht.

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