Kapitel 5: Das Gesicht des Bösen
Der Morgen im Blackwell-Anwesen hatte ruhig begonnen. Alexander war bereits zu seinen Geschäften aufgebrochen, und das Personal ging seinen täglichen Pflichten nach. Ethan, immer noch in seinen eigenen Gedanken versunken nach seiner Begegnung mit Miranda am Vortag, blieb distanziert. Er hatte Isabella nichts davon erzählt, aber sie spürte, dass ihn etwas tief beunruhigte.
Isabella hatte beschlossen, dass heute anders sein würde. Es gab ein Versprechen, das erfüllt werden musste, und sie konnte es nicht ertragen, Ethan länger in seiner Welt aus Angst und Misstrauen gefangen zu sehen. „Heute werde ich ihn aus diesem Anwesen herausbringen. Frische, eisige Luft wird ihm guttun“, dachte sie, als sie die Treppe zu Ethans Zimmer hinaufstieg.
—Ethan, mach dich bereit. Wir gehen eine Weile raus —sagte sie und öffnete die Tür.
Ethan blickte von seinem Tablet auf. Sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Überraschung und, zum ersten Mal seit Tagen, einen Funken Aufregung.
—Wirklich? —fragte er mit einem Hauch von Emotion in seiner Stimme.
—Natürlich, ich habe es versprochen, oder? Eiscreme in allen Geschmacksrichtungen, die du möchtest.
Ethan legte sein Tablet beiseite, ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht, als er anfing, seine Schuhe anzuziehen.
Doch als sie die Treppe hinuntergehen wollten, änderte sich plötzlich die Atmosphäre im Anwesen. Das Geräusch von Absätzen hallte scharf auf dem Marmorboden und erfüllte die Luft mit einer spürbaren Spannung. Isabella spürte ein unerwartetes Frösteln den Rücken hinunterlaufen, kurz bevor Mirandas Gestalt in der Eingangshalle auftauchte.
Groß, schlank und mit einer fast einschüchternden Eleganz hatte Miranda eine Präsenz, die niemanden unberührt ließ. Ihre dunklen Augen richteten sich zuerst auf Ethan, der sofort den Blick senkte, als wolle er unsichtbar werden, und wanderten dann mit einer Mischung aus Verachtung und Neugier zu Isabella.
—Du musst die neue Nanny sein —sagte Miranda, als sie am Fuße der Treppe stehen blieb, mit einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.
Isabella spürte, wie die Luft schwerer wurde, aber sie blieb ruhig. Sie hatte von Miranda, Alexanders Verlobter, gehört, aber dies war das erste Mal, dass sie sie aus der Nähe sah. Es war, als ob die Temperatur im Raum um mehrere Grad gefallen wäre.
—Ja, ich bin Isabella —antwortete sie und hielt ihren Blick fest, obwohl Mirandas Anwesenheit sie unbehaglich machte.
Miranda lächelte, aber das Funkeln in ihren Augen machte deutlich, dass es kein freundliches Lächeln war.
—Du bist ziemlich jung für diese Art von Arbeit —sagte Miranda und musterte Isabella, als wäre sie Ware—. Bist du sicher, dass du das bewältigen kannst?
Isabella spürte die Herausforderung in diesen Worten, aber sie ließ sich nicht einschüchtern.
—Ethan ist ein unglaublich kluges Kind. Wir verstehen uns gut —antwortete sie, ihre Stimme sanft, aber fest.
Miranda zog eine Augenbraue hoch, als ob Isabellas Antwort unerwartet gewesen wäre. Dann blickte sie zu Ethan, der die ganze Zeit bewegungslos geblieben war.
—Ja, klug... aber auch schwierig. Nicht jeder kann mit ihm umgehen, Liebes —sagte sie, ihr Blick kalt genug, um Ethan erzittern zu lassen.
Isabella konnte nicht anders, als zu bemerken, wie Ethans Hände leicht zitterten. Etwas an der Art, wie Miranda ihn ansah, erinnerte sie an einen Raubtier, das seine Beute beobachtete.
—Wir gehen jetzt raus —sagte Isabella, um das Gespräch abzukürzen—. Wir haben heute eine wichtige Mission: Eiscreme in allen Geschmacksrichtungen, die wir finden können.
—Ach, wirklich? —sagte Miranda und täuschte Interesse vor—. Weiß Alexander, dass du seinen Sohn rausbringst, um ihn mit Zucker vollzustopfen?
Isabella spürte das Gewicht dieser Worte, aber sie entschied sich, das Gespräch nicht in eine düstere Richtung abgleiten zu lassen.
—Es ist Teil eines kleinen Versprechens —sagte sie mit einem Lächeln—. Etwas Spaß für Ethan.
Miranda lächelte erneut, aber diesmal war es fast grausam.
—Spaß. Weißt du, was Spaß machen würde, Isabella? Wenn du erkennen würdest, dass dieser Job nicht für jeden geeignet ist. Ich habe viele Kindermädchen kommen und gehen sehen, alle mit derselben Naivität, und keine von ihnen hat lange durchgehalten. Glaubst du, du wirst anders sein?
Obwohl eingeschüchtert, ließ Isabella Miranda nicht ihre Unsicherheit sehen. Doch die Spannung im Raum wurde noch unangenehmer, als Ethan, mit einer langsamen, fast zitternden Bewegung, Isabellas Hand ergriff.
—Lass uns gehen, Isabella —murmelte er, ohne sich zu trauen, Miranda anzusehen.
Die Geste war wie ein kleiner Hilferuf, und das reichte für Isabella, um zu entscheiden, dass das Gespräch beendet war. Ohne ein weiteres Wort begann sie, zur Tür zu gehen, mit Ethan an ihrer Seite, aber bevor sie gehen konnten, lieferte Miranda ihren letzten Schlag.
—Erinnere dich an eines, Isabella —sagte sie, ihre Stimme leiser, aber genauso scharf—. Es gibt hier nur einen Platz für jede Person, und meiner ist an Alexanders Seite. Verwirre dich nicht.
Isabella biss die Zähne zusammen, antwortete aber nicht. Sie wusste, dass eine Konfrontation mit Miranda jetzt nichts Gutes bringen würde, besonders weil sie die Dynamik zwischen ihr, Alexander und Ethan nicht vollständig verstand.
Einmal draußen vor dem Anwesen, fühlte sich die frische Luft wie eine Welle der Erleichterung für beide an. Isabella sah Ethan an, der schweigend mit gesenktem Kopf ging.
—Geht es dir gut? —fragte sie sanft.
Ethan nickte, sagte aber nichts. Isabella entschied, dass das beste Heilmittel im Moment darin bestand, ihr Versprechen zu erfüllen.
—Bereit für das beste Eis der Welt? —versuchte sie, ihn aufzumuntern.
Ethan blickte auf, und obwohl sein Lächeln klein war, reichte es aus, um einige von Isabellas Sorgen zu lindern.
Sie kamen in der Eisdiele der Stadt an, und wie versprochen ließ Isabella Ethan alle Geschmacksrichtungen probieren, die er wollte. Schokolade, Erdbeere, Vanille, Zitrone... jeder Löffel schien ein wenig von der Freude zurückzubringen, die Miranda ihm im Anwesen gestohlen hatte.
—Gefällt es dir? —fragte Isabella lachend, als sie Ethan beobachtete, wie er eine Waffel mit drei Kugeln Eis verschlang.
—Ja —antwortete er, seine Augen funkelten—. Dieses hier ist mein Lieblingsgeschmack.
Nach mehreren Geschmacksrichtungen saßen sie auf einer Bank vor dem Park und genossen die Nachmittagssonne. Ethan begann sich zu entspannen, sein Lachen erfüllte die Luft und löschte vorübergehend den Schatten, den Miranda hinterlassen hatte.
Doch während sie ihn beobachtete, konnte Isabella nicht aufhören, an das Geschehene im Anwesen zu denken. Sie wusste, dass die Beziehung zwischen Miranda und Ethan angespannt war, aber sie hatte nicht geahnt, wie tief sie ging. Warum hatte ein so süßes Kind wie Ethan solche Angst vor ihr? Und vor allem, warum schien Miranda es zu genießen, ihn einzuschüchtern?
Dieser Gedanke beunruhigte sie tief. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass in diesem Haus mehr Geheimnisse verborgen waren, Geheimnisse, die, wenn sie sie nicht bald aufdeckte, Ethan noch mehr verletzen könnten.
Als sie zum Anwesen zurückkehrten, blieb die Spannung bestehen. Miranda war fürs Erste verschwunden, aber Isabella wusste, dass dies nicht ihre letzte Konfrontation sein würde. Etwas sagte ihr, dass Miranda nicht aufhören würde, bis ihr Platz an Alexanders Seite vollständig gesichert war... um jeden Preis.






















































































































































































































































