Kapitel 6: Paige
Ich stehe vor dem Spiegel und starre das Mädchen an, das mir entgegenblickt. Sie sieht zusammengesetzt aus, poliert, als hätte sie alles unter Kontrolle. Aber ich weiß es besser.
Mein Shirt ist aus dünnem, schwarzem Material, das vorne tief ausgeschnitten ist, meine Schultern und Schlüsselbeine umschließt und dazu entworfen wurde, abzulenken und Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist die Art von Shirt, auf die mein Vater besteht – etwas, das sagt, dass ich genauso eine Waffe bin wie ein Reiz, etwas, das beunruhigen und schwächen soll. Es endet knapp über meinen Hüften, lässt die Haut an meinem unteren Rücken frei, die beiden kleinen Grübchen über meiner Jeans sichtbar.
Die hüfttiefen Jeans sind dunkel und teuer, schmiegen sich eng an meine Beine. Ich spüre ihr Gewicht bei jedem Schritt, als würden sie mich nach unten ziehen. Ich kleide mich nicht so für mich – das tue ich nie. Es geht nicht um meinen Komfort. Es geht um die Botschaft, die mein Vater senden will, die Schärfe, die er glaubt, dass mein Aussehen uns geben wird.
Goldschmuck funkelt gegen meine Haut. Ein Paar kleiner Kreolen, zwei geschichtete Halsketten, Ringe, die ich kaum spüre, von denen ich aber weiß, dass sie gesehen werden. Ich binde mein Haar zu einem hohen Pferdeschwanz, glatt und straff, jede Strähne an ihrem Platz. Es ist nur eine weitere Schicht der Verkleidung, eine weitere Möglichkeit, sie davon abzuhalten, etwas Echtes zu sehen. Eine Maske der Gleichgültigkeit, die ich zu gut gelernt habe zu tragen.
Das heutige Treffen wird brutal; ich fühle es wie ein Gewicht auf meiner Brust. Die Einsätze sind höher als sonst, Flüstern von Territorium und Vergeltung, ein scharfer Ton in der Stimme meines Vaters, als er mich früher briefte. Er gab keine Einzelheiten, nur eine strenge Erinnerung, „mein Bestes zu geben“. Was eines bedeutet: Da ist mehr, als er selbst zugibt.
Ich streiche mit meinen Fingern über den Rand meiner Ärmel, glätte den Stoff, erde mich für das, was kommt. Ich atme ein, stabilisiere meinen Blick im Spiegel. Ich sehe aus wie die Rolle – die gefasste, unantastbare Übersetzerin. Der perfekte Bauer des Crimson Circle. Das Mädchen, das gelernt hat, alles und nichts zugleich zu sein.
Aber tief im Inneren hasse ich jeden Zentimeter davon, jede Naht dieser Aufführung.
Mit einem letzten Blick auf mein Spiegelbild drehe ich mich um, stähle mich, während ich mich vom Spiegel abwende. Die Männer in diesem Raum werden nichts davon sehen. Sie werden genau das sehen, was mein Vater will, dass sie sehen – ein Mädchen, dessen Anwesenheit beunruhigen und manipulieren soll. Und am Ende des Tages werden sie genau dort sein, wo er sie haben will.
Die Fahrt fühlt sich endlos an, ein Weg, der sich durch Meilen von leerem Land windet, zu weit von Alderstone entfernt, zu weit vom Heimterritorium beider Seiten. Es ist wirklich seltsam, dass dieses Treffen an einem so abgelegenen Ort stattfindet, wo niemand die Oberhand hat. Ich sitze auf dem Rücksitz, starre aus dem Fenster, Spannung knotet sich in meinem Magen. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber etwas fühlt sich falsch an.
Als wir schließlich vor dem Gebäude anhalten, einer unscheinbaren Betonstruktur, die mehr wie ein verlassenes Lagerhaus aussieht als ein Treffpunkt, vertieft sich das Gefühl des Unbehagens nur noch. Wir gehen hinein, mein Vater und die anderen Männer vom Crimson Circle gehen vor mir, ihre Ausdrücke hart, grimmig. Ich folge, halte meinen Rücken gerade, die Hände vor mir verschränkt, jedes Stück meines Gesichts sorgfältig leer, wie ich es gelernt habe.
Im Raum beginnen die Männer des Crimson Circle, Waffen in den Ecken, unter den Stühlen, diskret an den Tischbeinen zu verstecken. Ich blicke zu meinem Vater, fange die Spannung in seinem Gesicht auf, als er sich umsieht, dann zu den anderen Männern von unserer Seite. Was denken sie, was hier passieren wird?
Ich schlucke, zwinge mich, still zu bleiben, ruhig zu bleiben. Was auch immer das ist, ich bin hier, um zu übersetzen, nichts weiter. Ich kenne meine Rolle. Ich weiß, was ich für sie bin – ein Werkzeug, nichts weiter. Also nehme ich meinen Platz im Hintergrund ein, halb im Schatten verborgen, und warte.
Einer nach dem anderen beginnen die Männer der Schwarzen Vipern einzutreten, und ein Schauder läuft mir über den Rücken. Ich habe Gerüchte über sie gehört – ihr Ruf ist fast so düster wie der unserer eigenen Gang, wenn nicht sogar schlimmer. Sie sind brutal, berüchtigt für ihre Rücksichtslosigkeit, und ich spüre, wie sich ein Anflug von Angst in mir breitmacht, als sie sich gegenüber unseren Männern an den Tisch setzen. Die Spannung zwischen ihnen ist fast greifbar, wie ein dünner Draht, der sich spannt.
Einer der Viper-Männer geht dicht an mir vorbei, ein fieses Grinsen schneidet über sein Gesicht, als er sich zu mir hinüberbeugt und etwas Niedriges und Vulgäres in mein Ohr murmelt. Ich spüre das vertraute Aufflackern von Ekel, aber ich halte mein Gesicht unbewegt, die Maske fest an Ort und Stelle, und ignoriere ihn.
Dann tritt ein weiterer Mann durch die Tür, und der Raum scheint sich um ihn herum zu verändern. Er ist groß, weit über sechs Fuß, und gebaut wie eine Legende – breite Schultern, ein starker, imposanter Körperbau, mit dunklem, kurz geschnittenem Haar. Er hat ein Gesicht, das ebenso markant wie gefährlich ist, jede Linie scharf, jede Kontur perfekt. Er lächelt, als er mich entdeckt, ein Aufblitzen weißer Zähne, ein Blick, der fast charmant wirken könnte, wenn ich nicht wüsste, wer er ist.
„Muss Paige sein“, sagt er, seine Stimme glatt und selbstbewusst. Er greift nach meiner Hand, und ich zwinge mich, ihn sie nehmen zu lassen, seinen Blick zu halten, ohne zu zucken, als er meine Hand zu seinem Mund hebt und einen Kuss auf meine Knöchel drückt. Ein Erröten kämpft darum, in meine Wangen zu steigen, aber ich unterdrücke es, jede Faser meiner Ausbildung darauf konzentriert, mein Gesicht still und gleichgültig zu halten.
Mehrere Männer des Roten Kreises stehen auf, die Fäuste geballt, ein bedrohlicher Ausdruck in ihren Augen, aber Silas grinst nur, unbeeindruckt, und lehnt sich zurück in seinen Stuhl, immer noch mit diesem amüsierten Glitzern in den Augen auf mich gerichtet. Er ist selbstsicher, sogar überheblich. Und als er sich abwendet, fühle ich eine seltsame Mischung aus Wut und Unbehagen in meinem Magen. Es gibt kaum junge Männer wie ihn bei diesen Treffen – Männer, die hereinkommen, als ob ihnen der Raum gehört.
Doch dann verändert sich die Luft erneut, kälter diesmal, und ich blicke auf.
Eine Gestalt steht im Türrahmen, von Schatten umrahmt, größer und irgendwie düsterer als die anderen. Die Männer des Roten Kreises richten sich auf, die Spannung schnellt hoch, als sie sich ihm zuwenden. Es ist, als ob sie zurückweichen, als ob sie die Gefahr spüren, die er mit sich bringt.
Und dann höre ich seinen Namen.
„Jaxon Steele.“
Der Name wird kaum ausgesprochen, doch die Wirkung durchzieht den Raum. Ich werde still, mein Puls flattert, während ich beobachte, wie er sich nähert, jede Bewegung kalkuliert, als würde er schleichen statt gehen. Er ist groß, mindestens sechs Fuß vier, mit dunklem braunem Haar, das ihm ein wenig über die Stirn fällt, und einem leichten Bartschatten, der sein Kinn umrahmt. Tätowierungen bedecken fast jede sichtbare Haut – seine Arme, seinen Hals, sogar die feinen Linien, die ich unter seinem Kragen erkennen kann, die auf weitere Tinte auf seiner Brust und seinem Rücken hinweisen. Der schwarze Anzug, den er trägt, ist perfekt geschneidert, betont jede Muskelkontur, jede Linie von Stärke. Er ist ein Meisterwerk der Gewalt, gerade genug gezügelt, um für einen Mann gehalten zu werden.
Als er voranschreitet, stellen sich die Männer des Roten Kreises ihm in den Weg, ihre Wut aufflammend, die Fäuste geballt. Sie murmeln Drohungen, knurren Beleidigungen, fordern zu wissen, was er hier macht. Doch er beachtet sie kaum, seine Augen sind stechend, stahlgrau, flach und emotionslos.
Ein Blick von ihm – ein kalter, stummer Blick – und sie treten zurück, brechen den Augenkontakt, die Wut weicht Vorsicht. Jaxon Steele nimmt sie kaum wahr, während er weitergeht, seine Augen schweifen durch den Raum, bis sie schließlich auf mir landen.
Die Kälte vertieft sich, prickelt über meine Haut, während er mich anstarrt, sein Blick flach, unergründlich. Doch die Botschaft ist klar: Er würde nicht zögern, mich zu töten, jeden hier zu töten, wenn das Treffen auch nur einen falschen Verlauf nimmt.
Ich verkrampfe meine Hände, zwinge mich, seinen Blick zu halten, so zu tun, als wäre ich unbeeindruckt von der Schwere seiner Aufmerksamkeit. Doch je härter sein Blick wird, desto mehr kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass bereits etwas schiefgelaufen ist – und dass, was auch immer als Nächstes kommt, nicht aufzuhalten ist.
