Kapitel 2

Elaine kniete sich hin, ihre Augen scannten den Boden und übersahen kein einziges Detail.

Sie nahm die Inspektionslampe von Kian und untersuchte den Bereich sorgfältig.

"Irgendetwas stimmt hier nicht," flüsterte Elaine.

"Was meinst du?" fragten Kelvin und Kian gleichzeitig.

Elaine zeigte auf den Metalleinsatz und die klaren elektrischen Brandspuren auf dem Foto.

"Das sind typische Niederspannungsverbrennungen, aber wenn jemand einen Stromschlag bekommt, verkrampfen sich die Muskeln sofort."

"Die Person würde an der Quelle festkleben und sie fest umklammern. Es wäre wirklich schwer, sich loszureißen, besonders so, wie der Verstorbene das hielt."

Sie zog das Foto heraus. "Aber schau dir die Position des Körpers an, mit dem Gesicht nach unten."

"Angenommen, er hat etwas repariert und seine linke Hand hat versehentlich eine nasse, stromführende Steckdose berührt, was den Schock verursachte."

"Mit Muskelstarre sollte sein Körper nach vorne kippen, seinen Schwerpunkt verlagern und wahrscheinlich mit dem Gesicht nach unten auf der Stromquelle landen."

"Oder sein ganzer Körper würde 'hochgezogen' werden und eine stärkere gekrümmte Position einnehmen."

"Aber jetzt liegt er auf dem Rücken, seine Hand ist von der Steckdose gelöst, und er ist zu Boden gefallen. Das passt nicht zusammen."

Kelvin und Kian tauschten überraschte Blicke aus.

Ihnen lief ein Schauer über den Rücken.

Diese Analyse war unheimlich ähnlich der von Travis, und sogar noch gründlicher.

Schließlich hatte Travis die Dinge in den Bodenritzen nicht bemerkt.

Sie hatten sich nur auf Anzeichen von Einbruch oder Kampf konzentriert und darauf, ob der Verstorbene andere Verletzungen hatte.

Diese physiologischen Details der Körperreaktion auf elektrischen Strom waren natürlich übersehen worden.

Oder vielmehr, wegen der vorgefassten Schlussfolgerung "Selbstmord/Unfall" hatten sie nicht so weit gedacht.

Schockiert stand Elaine bereits auf und bewegte sich zu dem unauffälligen Holzstuhl.

Dort fand sie die Kratzer, die auf den Fotos zu sehen waren.

Ihr Blick fixierte sich auf die Innenseite des Stuhls.

Ein sehr kurzer, etwa ein Zoll langer Kratzer, sehr flach, fast übersehen, wenn man nicht genau hinsah.

Sie platzierte den Rekorder vor sich und machte Fotos des Kratzers aus mehreren Winkeln als Beweismittel.

Dann tat sie etwas, das Kelvin und Kian nicht begreifen konnten.

Elaine nahm eine kleine Dose Pulver aus ihrem Werkzeugkasten.

Mit einem Pinsel trug sie es vorsichtig um den Kratzer auf.

"Elaine, Captain Smith hat gesagt, wir sollen den Tatort nicht verändern," versuchte Kelvin, sie aufzuhalten.

"Das ist ein neuer Typ von fluoreszierendem Pulver, extrem empfindlich auf organische Verbindungen," erklärte Elaine kurz.

Dann schaltete sie die Inspektionslampe aus und eine UV-Lampe ein.

Um den Kratzer herum, in den scheinbar sauberen Vertiefungen des Stuhls, erschienen schwache fluoreszierende Flecken.

Von der Form her sah es wie ein teilweise verschwommener Fingerabdruck aus.

"Oh mein Gott... das ist!"

Kelvin und Kians Augen weiteten sich.

"Spuren organischer Rückstände, möglicherweise Schweiß oder Talg, die in die Holzmaserung gerieben wurden," erklärte Elaine und entnahm sie vorsichtig mit Klebeband.

"Es sieht aus, als hätte ein Metallgegenstand mit Kanten, unter einiger Kraft, gegen den Stuhl geschabt."

"Die Oberflächenlackierung und Holzfasern entfernt."

Elaine stand auf und betrachtete das Schlafzimmer des alten Detektivs.

Der fröhliche alte Detektiv war nun im kalten Gedenkfoto eingefroren.

Sie sah Kelvin und Kian an und sagte: "Ein Detektiv, der mit Ermittlungsverfahren vertraut ist, selbst wenn er sich umbringen wollte, warum sollte er sich für einen Stromschlag entscheiden?"

"Unsachgemäße Handhabung, die zu einem Unfall führt? Selbst eine gewöhnliche Person weiß, dass man den Hauptschalter ausschalten sollte, wenn das elektrische System des Hauses alt ist, bevor man Reparaturen durchführt."

Elaines Stimme war leise, fast als würde sie mit sich selbst sprechen, "Captain Smith sagte, die Familie habe die Unfallversion widerwillig akzeptiert."

„Ein Detektiv, der so stirbt – selbst wenn sie es oberflächlich akzeptieren, würden sie tief im Inneren definitiv Zweifel hegen.“

„Sie sollten die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls und die Möglichkeit eines inszenierten Szenarios besser verstehen als die meisten Menschen.“

Kelvin und Kian waren sprachlos.

Jetzt verstanden sie, warum Travis nicht wollte, dass sie den Tatort berühren; er dachte möglicherweise dasselbe wie Elaine.

Als sie Elaines Gedankengang folgten, lief ihnen ein Schauer über den Rücken.

Unfall? Selbstmord? Das war völlig unüberzeugend.

Der Raum schien von einem unsichtbaren... absichtlichen Gefühl erfüllt zu sein?

Als wäre alles sorgfältig arrangiert, aber hastig vertuscht, wobei Spuren zurückblieben.

Wenn das wahr war...

Kelvin und Kian tauschten einen Blick aus. „Elaine, das ist also kein Selbstmord? Es ist... Mord?“

„Die aktuellen Zweifel stellen noch keine entscheidenden Beweise dar“, schüttelte Elaine den Kopf und packte ihre Werkzeuge zusammen.

„Aber... jemand hat definitiv an diesem Tatort manipuliert.“

„Oder... die Ereignisse, die stattgefunden haben, entsprechen nicht der ‚einfachen Logik‘, die wir sehen.“

Ihr Blick schweifte über den alten Schrank im Wohnzimmer.

Die Kante der unteren Schublade wies sehr unnatürliche Abnutzungsspuren auf.

Es sah aus, als hätte jemand diese Schublade kürzlich grob geöffnet und geschlossen.

„Bitte melden Sie Captain Smith, dass ich eine gründlichere zweite Autopsie durchführen muss.“

Elaines Stimme wurde wieder ruhig. „Der Fokus liegt auf dem Mechanismus der Verletzung an der Kante der rechten Handfläche des Verstorbenen.“

„Außerdem schlage ich vor, alle Schubladen im Haus des Verstorbenen sorgfältig zu überprüfen, besonders die versteckten Fächer in den Schränken.“

„Dieser Tatort ist definitiv nicht so ‚sauber‘, wie er aussieht.“

Kelvin und Kian eilten, um Bericht zu erstatten; diese Angelegenheit durfte nicht verzögert werden.

Am Telefon übermittelte Kelvin Travis wortwörtlich alles, was hier passiert war.

Er lauschte angespannt auf Travis' Antwort.

„Lassen Sie sie fortfahren.“

Nachdem er die bestätigende Antwort erhalten hatte, atmete Kelvin erleichtert auf.

Nach dem Auflegen legte Travis sein Telefon auf den Tisch und hoffte, dass Elaine ihm eine zufriedenstellende Antwort geben konnte.

Kalte Schritte hallten im leeren Flur wider und trugen ein Gefühl unerschütterlicher Entschlossenheit.

Niemand wusste, dass unter Elaines ruhiger Fassade ein Sturm tobte.

Die Methode in diesem Fall und die Spuren des „Unfalls“, bei dem ihr Vater beteiligt war, waren unheimlich ähnlich.

Ihre Finger umklammerten das Metallstück in ihrer Tasche, das sie nie verlassen hatte.

Darauf war ein halb verschwommenes, schlangenähnliches Symbol eingraviert.

Konferenzraum des Hillcrest Detective Bureau.

Carter saß am Ende des langen Tisches, sein Gesicht so düster, dass es wie Gewitterwolken aussah.

Kelvin und Kian standen nervös an der Tür und wagten kaum zu atmen.

„Seid ihr alle Idioten? Elaine ging zum Tatort und fand so viele Probleme! Ihr habt nichts gefunden?“

Während der Rüge öffnete sich die Tür des Konferenzraums.

Elaine trat ein.

„Chief Johnson, Captain Smith“, erklang Elaines klare Stimme, „Entschuldigung, dass ich alle habe warten lassen.“

„Das Organisieren meiner Gedanken und die Analyse der Spurenevidenz haben einige Zeit in Anspruch genommen.“

„Elaine, wer hat Ihnen die Befugnis gegeben, solche Maßnahmen am abgeschlossenen Tatort durchzuführen?“

„Sie haben sogar unautorisierte ‚Spezialmaterialien‘ verwendet und die Stabilität der Spurensicherung gestört.“

„Wissen Sie, dass Sie den Tatort stören, wenn...“

Elaine starrte den sprechenden Mittvierziger an, unbeugsam. „Herr Martin.“

Ihre klaren Augen trafen den wütenden Blick von Joshua Martin.

„Ich habe Puder verwendet, das eine der allgemeinen Methoden zur organischen Extraktion ist. Es verändert den ursprünglichen physischen Zustand der Beweise nicht.“

„Ich habe lediglich eine effizientere Methode verwendet, um Spuren zu erfassen.“

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