2. IN SEINEM KÄFIG
LAYLA || JETZT
Layla ließ sich auf die Couch neben Lillys Bett fallen. Ihre Füße schmerzten, jeder Muskel ihres Körpers war von der Erschöpfung des Tages steif.
Sie hasste den Regen, hasste die beißende Kälte der Monsunnächte in Ylumia.
Ein plötzlicher Donnerschlag ließ Lilly erzittern. Sofort war Layla auf den Beinen, schloss die Fenster und deckte ihre Tochter mit der braunen Decke zu.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie erstarren. Sie hielt den Atem an und lauschte. Sechs Jahre waren vergangen, doch ein Klopfen ließ ihr Herz noch immer rasen.
„Layla. Ich bin’s, Raya.“ Erleichterung durchflutete ihre Brust bei der vertrauten Stimme.
Sie ließ ihre Freundin herein, bevor sie die Haustür schloss. Raya, noch in ihrer Arbeitskleidung, betrat das winzige Haus wie eine beruhigende Präsenz im Chaos.
„Wie ist es gelaufen?“ fragte Raya.
Layla schüttelte den Kopf. „Er hat nicht einmal zugehört.“
Mitleid flackerte über Rayas Gesicht, und Layla zog sich zurück. Ihr Leben war voller mitleidiger Blicke. Sie brauchte kein Mitgefühl. Sie brauchte Lösungen.
„Was machen wir jetzt? Ich habe die ganze Stadt durchkämmt. Er ist unsere einzige Option.“
Laylas Gedanken kehrten zu diesen stechend blauen Augen zurück, der kalten Gleichgültigkeit, dem ungerührten Mann, der ihre Tochter retten könnte. „Er wird sich nicht bewegen. Er wird nicht helfen. Es muss einen anderen Weg geben. Du musst einen finden, Raya“, flehte sie.
„Ich würde dich nicht zum Teufel schicken, wenn es einen anderen Weg gäbe“, sagte Raya fest. „Das weißt du.“
Layla zweifelte nicht daran. Ylumia gehörte Zaley, und die Angst, die er verbreitete, durchdrang jeden, sogar Raya. Ihm zu begegnen war gefährlich; sich ihm zu widersetzen war undenkbar. Doch hier war sie, bereits auf seinem Weg und abgelehnt.
Lilly rührte sich im Schlaf. Der letzte Monat hatte sie so sehr geschwächt, dass allein das Gehen unmöglich schien. Der Anblick des zerbrechlichen Körpers ihrer Tochter brachte Layla einen scharfen, pochenden Schmerz ins Herz. Sie musste sie retten.
„Ich werde ihn wieder treffen“, sagte Layla, Entschlossenheit härtete ihre Stimme, „immer wieder, bis er zustimmt.“
Es war zu ihrem Ritual geworden: nach Hause kommen, besiegt, leise weinen, nachdem Lilly eingeschlafen war, und sich dann für den nächsten Tag aufrappeln. Manche Tage waren einfacher; an manchen Tagen wünschte sie, sie würde nie aufwachen. Aber Lillys Leben gab ihr Kraft. Alles, was sie tat, jeder Funken Mut, war für ihr kleines Mädchen.
„Layla“, flüsterte Raya, Besorgnis schwer in ihrem Ton. „Du weißt, wie gefährlich das ist. Er kann dich in Sekunden auslöschen. Geh nicht hinter ihm her. Du hast gesehen, was mit den Keatons passiert ist.“
Die Geschichte war berüchtigt. Fünf Keaton-Cousins, trotzig, tot – sechzig Fuß unter dem Meer. Ylumia hatte seine Lektion gelernt: Zaley regierte die Stadt ohne Frage.
„Ich habe keine andere Wahl“, sagte Layla schlicht.
„Ich wünschte, es gäbe einen Ausweg“, murmelte Raya und streichelte Lillys Kopf. „Ich habe gehört, dass du ihn morgen in der Pristine Bar finden kannst. Mein Mann sagte, er trifft sich dort mit dem Bürgermeister. Versuch es. Ich werde an meinem freien Tag auf Lilly aufpassen.“
Layla flüsterte ihren Dank, Schuldgefühle stachen in ihrer Brust, weil sie Rayas seltenen freien Tag stahl. Aber es gab keine Zeit zu zögern. Lillys Leben stand auf dem Spiel.
Am nächsten Abend betrat Layla Ylumias Club für die soziale Elite der Stadt. Jenseits des diskreten Eingangs lag eine Welt des Luxus: Plüschteppiche dämpften ihre Schritte, Kristalllüster tauchten die große Lobby in sanftes Licht, und ein Hauch von Raffinesse lag in der Luft. Dank Rayas Ehemann hatte sie eine Nacht als Kellnerin Zugang.
Hohe Decken, aufwendige Stuckarbeiten und ein Raum, der sich auf Knopfdruck verwandelte – Eleganz für ein Gala, pulsierende Lichter für eine Tanzfläche. Frauen klammerten sich an die Arme von Männern wie Besitztümer.
Was waren diese Leute? fragte sie sich. Warum war ihr Leben so schwierig, während sie so lebten? Wann würde sie diese Stadt verlassen?
Ein Mitarbeiter wechselte die Position, und Layla schlüpfte in den VIP-Raum – fast leer von Frauen, hauptsächlich Männer, älter, mächtig. Nur Kellnerinnen wie sie betraten ihn frei.
Sie suchte nach dem eisblauen Blick, den sie so gut erinnerte. Da war er, am Kopf des Esstisches, zog ohne ein Wort Aufmerksamkeit auf sich. Ein Smoking schmiegte sich perfekt an ihn, jede Zoll der Raubtier, das sie hasste, von dem sie Gnade benötigte.
Seine Augen trafen ihre für einen Moment, dann fielen sie auf das Tablett in ihren Händen. Ihr Griff wurde fester. Zehn Sekunden der Prüfung vergingen, bevor er weg sah.
Sie ließ einen Atemzug los, den sie nicht bemerkt hatte, dass sie hielt. Sie hatte noch nie solche Augen gesehen – tief, endlos blau, wie der Ozean, das Universum, Chaos und Himmel in einem.
Jemand schlug sie von hinten. Sie versteifte sich und starrte einen Mann in den siebzigern an. „Schöner Hintern“, höhnte er – und schlug nochmal.
Bevor sie reagieren konnte, drückte eine andere Hand sie. Wut kochte in ihrer Brust. Sie könnte töten, wenn Lilly nicht zu Hause wartete. Ihre Augen fanden wieder Zaleys. Sein Blick war kalt, unbewegt, als ob er alles sah, aber nichts tat.
„Tu etwas“, flehte ihr Blick stumm.
Warum sollte er? Er war hier König, unantastbar.
„Augen runter“, zischte ein Mädchen von hinten.
„Wein hier“, befahl ein anderer glatzköpfiger Mann, grinsend.
Etwas in ihr brach. Die Welt hatte sich nicht geändert. Sie würde nicht zulassen, dass sie sie besiegt. Sie servierte den Wein nicht. Sie ging Richtung Ausgang. Die ganze Zeit verließ sein Blick sie nicht.
„Solche Dinge passieren hier. Warum eintreten, wenn du es nicht ertragen kannst?“ fragte ein anderes Mädchen im Waschraum.
„Macht das es okay?“ schoss Layla zurück, als sie ihr eigenes Spiegelbild sah.
Das Mädchen starrte einen Moment, dann murmelte: „Du weißt, wie die Welt ist“, und ging.
Layla atmete tief durch. Ein weiterer verlorener Tag. Ein weiteres Trinkgeld weg. Sie wollte sich von der Berührung jeder Hand waschen. Die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Finger hielten inne.
Dann sah sie auf.
Zaley.
Durchdringende blaue Augen, immer noch unblinkend, starrten sie durch den Spiegel an.
Ihr Herz pochte. Sie fühlte sich gefangen, entblößt, in seinem Käfig, selbst in einer Damentoilette. Und er hatte ihren Raum betreten.



























































































































































































































































